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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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machen. Er erschien und verschwand nach seinem Belieben, wie Zauberer mit Hilfe des Zauberstabes, und auch seine Kleidungsstücke wurden unsichtbar, nicht aber Gegenstände, die er in der Hand hielt, nachdem wir den zerrissenen Kontrakt und den Blumenstrauß, den geraubten Kranz, die durch die Kirche geschleuderten Eheringe, gesehen hatten. Aber hier handelte es sich nicht um Magie, kabbalistische Formeln, Zauberei und Hexenkunst. Bleiben wir bei den materiellen Tatsachen. Jedenfalls kannte Wilhelm Storitz das Geheimnis einer Zusammensetzung, die man zu sich nehmen mußte. Aber welche Mischung war das? Wahrscheinlich war sie in der zerbrochenen Phiole enthalten, jene, die sich fast augenblicklich verflüchtigt hatte. Aber die Formel zu dieser Komposition, die kannten wir eben nicht – die sollten wir kennen – und würden sie wahrscheinlich niemals erfahren!…
    Ob die Person Wilhelm Storitz’ bei ihrer Unsichtbarkeit auch ungreifbar war? Wenn sie sich auch dem Gesichtssinn entziehen konnte, mußte sie dem Tastsinn doch erkennbar bleiben! Die materielle Hülle kann nicht eine ihrer allen Körpern gemeinsamen Dimensionen der Länge, Breite und Höhe verlieren. Er ist immer ganz vorhanden, mit Fleisch und Blut, wie man sagt. Unsichtbar, zugegeben! – aber nicht unfaßbar! Letzteres ist den Gespenstern eigen und wir hatten es mit keinem Gespenst zu tun!
    Wenn mir der Zufall gestattete, ihn an den Armen, den Beinen, oder beim Kopfe zu fassen – trotz aller Unsichtbarkeit würde er nicht wieder loskommen. Und wie bewunderungswürdig auch sein Wissen war, durch die Mauern eines Gefängnisses konnte es ihm doch nicht helfen.
    Aber das waren eben fragliche Vernunftgründe, recht annehmbare zwar, die wohl jeder sich stellte, aber die Situation blieb gleich beunruhigend und die öffentliche Sicherheit war immer noch bedroht. Man lebte in steter Bangigkeit. Man fühlte sich nirgends mehr sicher, weder draußen, noch im Innern der Häuser, weder bei Tage, noch bei Nacht. Das leiseste Geräusch in den Zimmern, ein Krachen des Fußbodens, das Knarren einer durch den Wind bewegten Jalousie, das Ächzen des Wetterhahnes auf dem Dache, das Surren eines Insekts, das Pfeifen des Windes bei schlecht geschlossenen Türen und Fenstern, alles erregte Verdacht. Das Hin und Her der häuslichen Beschäftigungen, zur Essenszeit, abends, vor dem Schlafengehen, die ganze Nacht hindurch, während des Schlafes, wenn überhaupt geschlafen wurde – man wußte niemals, ob kein Fremder sich ins Haus geschlichen, ob nicht Wilhelm Storitz oder ein anderer anwesend war, jede Gebärde beobachtete, jedes Wort erlauschte, in die intimsten Geheimnisse der Familie eindrang.
    Es war ja allerdings auch möglich, daß dieser Deutsche Ragz ganz verlassen habe und nach Spremberg zurückgekehrt sei. Aber nach reiflicher Überlegung waren Dr. Roderich und Hauptmann Haralan, aber auch der Gouverneur und der Polizeichef anderer Meinung; man konnte vernünftigerweise nicht annehmen, daß Wilhelm Storitz nicht neue Bosheiten, neue Angriffe plane. Wenn er die Feierlichkeit gelegentlich der Erteilung der Heiratsbewilligung im Hause des Gouverneurs nicht gestört hatte, so war er eben noch nicht von Spremberg zurückgekehrt. Jetzt hatte er die kirchliche Trauung gewaltsam unterbrochen; würde er sie nicht auch in Zukunft zu verhindern wissen, falls Myra die volle Gesundheit wieder erlangte! Sein Haß gegen die Familie Roderich konnte noch nicht erloschen sein, da er noch nicht vollständig befriedigt war. Und die Drohworte, die in der Kirche erklungen, waren sie nicht eine beredte Antwort auf diese Fragen?
    Nein, wir hatten noch nicht den letzten Akt dieses Dramas gesehen und es war das Schlimmste zu befürchten, da ja dieser Mensch über die besten Mittel zur Ausübung seiner Rachepläne verfügte.
    Wenn auch das Haus des Doktors Tag und Nacht überwacht wurde – er konnte sich immerhin einschleichen; und war er erst drinnen, stand es ihm frei, nach Belieben zu schalten.
    Man kann aus dem Gesagten leicht den Zustand der Gemüter beurteilen, sowohl derjenigen, die sich an die positiven Tatsachen hielten, als der anderen. welche sich den Übertreibungen einer abergläubischen Einbildungskraft überließen.
    Und gab es kein Mittel, dieser schrecklichen Lage zu entrinnen? Ich gestehe, ich wußte keines. Auch Markus’ und Myras Abreise hätte keine Änderung herbeigeführt. Es war Wilhelm Storitz ja die Möglichkeit gegeben, ihnen überallhin zu folgen, ganz abgesehen

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