Wilhelm Tell
Schütze frei.
Ihm gehört das Weite
Was sein Pfeil erreicht,
Das ist seine Beute,
Was da kreucht und fleugt.
(kommt gesprungen)
|104| Der Strang ist mir entzwey. Mach mir ihn Vater.
TELL
Ich nicht. Ein rechter Schütze hilft sich selbst.
(Knaben entfernen sich)
HEDWIG
Die Knaben fangen zeitig an zu schießen.
TELL
Früh übt sich, was ein Meister werden will.
HEDWIG
Ach wollte Gott, sie lerntens nie[.]
TELL
Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben
Sich frisch will schlagen, muß zu Schutz und Trutz
Gerüstet seyn.
HEDWIG
Ach, es wird keiner seine Ruh
Zu Hause finden.
TELL
Mutter, ich kanns auch nicht,
Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet,
|105| Rastlos muß ich ein flüchtig Ziel verfolgen,
Dann erst genieß ich meines Lebens recht,
Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute.
HEDWIG
Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,
Die sich indessen, deiner wartend, härmt,
Denn mich erfüllts mit Grausen, was die Knechte
Von euren Wagefahrten sich erzählen.
Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,
Daß du mir nimmer werdest wiederkehren.
Ich sehe dich im wilden Eisgebirg,
Verirrt, von einer Klippe zu der andern
Den Fehlsprung thun, seh wie die Gemse dich
Rückspringend mit sich in den Abgrund reißt,
Wie eine Windlawine dich verschüttet,
Wie unter dir der trügerische Firn
Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig
Begrabner, in die schauerliche Gruft –
Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht
Der Tod in hundert wechselnden Gestalten,
|106| Das ist ein unglückseliges Gewerb’,
Das halsgefährlich führt am Abgrund hin!
TELL
Wer frisch umher späht mit gesunden Sinnen,
Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft,
Der ringt sich leicht aus jeder Fahr und Noth,
Den schreckt der Berg nicht, der darauf gebohren.
(er hat seine Arbeit vollendet, legt das Geräth hinweg)
Jetzt, mein ich, hält das Thor auf Jahr und Tag.
Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.
(nimmt den Hut)
HEDWIG
Wo gehst du hin?
TELL
Nach Altorf, zu dem Vater.
HEDWIG
Sinnst du auch nichts gefährliches? Gesteh mirs.
TELL
Wie kommst du darauf Frau?
HEDWIG
Es spinnt sich etwas
|107| Gegen die Vögte – Auf dem Rütli ward
Getagt, ich weiß, und du bist auch im Bunde.
TELL
Ich war nicht mit dabei – doch werd ich mich
Dem Lande nicht entziehen, wenn es ruft.
HEDWIG
Sie werden dich hinstellen, wo Gefahr ist,
Das Schwerste wird dein Antheil seyn, wie immer.
TELL
Ein jeder wird besteuert nach Vermögen.
HEDWIG
Den Unterwaldner hast du auch im Sturme
Ueber den See geschafft – Ein Wunder wars,
Daß ihr entkommen – Dachtest du denn gar nicht
An Kind und Weib?
TELL
Lieb Weib, ich dacht’ an euch,
Drum rettet’ ich den Vater seinen Kindern.
HEDWIG
Zu schiffen in dem wüthgen See! Das heißt
Nicht Gott vertrauen! Das heißt Gott versuchen.
|108| TELL
Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.
HEDWIG
Ja du bist gut und hilfreich, dienest allen,
Und wenn du selbst in Noth kommst, hilft dir keiner.
TELL
Verhüt es Gott, daß ich nicht Hülfe brauche.
(er nimmt die Armbrust und Pfeile)
HEDWIG
Was willst du mit der Armbrust? Laß sie hier.
TELL
Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt.
(die Knaben kommen zurück)
WALTHER
Vater, wo gehst du hin?
TELL
Nach Altorf, Knabe,
Zum Ehni – Willst du mit?
WALTHER
Ja freilich will ich.
HEDWIG
Der Landvogt ist jezt dort. Bleib weg von Altorf.
|109| TELL
Er geht, noch heute.
HEDWIG
Drum laß ihn erst fort seyn.
Gemahn’ ihn nicht an dich, du weißt, er grollt uns.
TELL
Mir soll sein böser Wille nicht viel schaden,
Ich thue recht und scheue keinen Feind.
HEDWIG
Die recht thun, eben die haßt er am meisten.
TELL
Weil er nicht an sie kommen kann – Mich wird
Der Ritter wohl in Frieden lassen, mein ich.
HEDWIG
So, weißt du das?
TELL
Es ist nicht lange her,
Da gieng ich jagen durch die wilden Gründe
Des Schächenthals auf menschenleerer Spur,
Und da ich einsam einen Felsensteig
|110| Verfolgte, wo nicht auszuweichen war,
Denn über mir hieng schroff die Felswand her,
Und unten rauschte fürchterlich der Schächen,
(die Knaben drängen sich rechts und links an ihn und sehen mit gespannter Neugier an ihm hinauf)
Da kam der Landvogt gegen mich daher,
Er ganz allein mit mir, der auch allein war,
Bloß Mensch zu Mensch und neben uns der
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