Wilhelm Tell
emporragt.
FRIESSHARDT
und
LEUTHOLD
halten Wache
FRIESSHARDT
Wir passen auf umsonst. Es will sich niemand
Heran begeben und dem Hut sein’ Reverenz
Erzeigen. ’s war doch sonst wie Jahrmarkt hier,
Jezt ist der ganze Anger wie verödet,
Seitdem der Popanz auf der Stange hängt.
LEUTHOLD
Nur schlecht Gesindel läßt sich sehn und schwingt
Uns zum Verdrieße die zerlumpten Mützen.
Was rechte Leute sind, die machen lieber
Den langen Umweg um den halben Flecken,
Eh sie den Rücken beugten vor dem Hut.
FRIESSHARDT
Sie müssen über diesen Platz, wenn sie
Vom Rathhaus kommen um die Mittagstunde.
|123| Da meint’ ich schon, ‘nen guten Fang zu thun,
Denn keiner dachte dran, den Hut zu grüssen.
Da siehts der Pfaff, der Rösselmann – kam just
Von einem Kranken her – und stellt sich hin
Mit dem Hochwürdigen, grad vor die Stange –
Der Sigrist mußte mit dem Glöcklein schellen,
Da fielen all aufs Knie, ich selber mit,
Und grüßten die Monstranz, doch nicht den Hut.–
LEUTHOLD
Höre Gesell, es fängt mir an zu däuchten,
Wir stehen hier am Pranger vor dem Hut,
’s ist doch ein Schimpf für einen Reitersmann,
Schildwach zu stehn vor einem leeren Hut –
Und jeder rechte Kerl muß uns verachten.
– Die Reverenz zu machen einem Hut,
Es ist doch traun! ein närrischer Befehl!
FRIESSHARDT
Warum nicht einem leeren hohlen Hut?
Bückst du dich vor manchem hohlen Schädel.
(Hildegard, Mechthild und Elsbeth treten auf mit Kindern und stellen sich um die Stange.)
|124| LEUTHOLD
Und du bist auch so ein dienstfertger Schurke,
Und brächtest wackre Leute gern ins Unglück.
Mag, wer da will, am Hut vorübergehn,
Ich drück die Augen zu und seh nicht hin.
MECHTHILD
Da hängt der Landvogt – Habt Respekt, ihr Buben.
ELSBETH
Wollts Gott, er gieng, und ließ uns seinen Hut,
Es sollte drum nicht schlechter stehn ums Land!
FRIESSHARDT
(verscheucht sie)
Wollt ihr vom Platz? Verwünschtes Volk der Weiber!
Wer fragt nach euch? Schickt eure Männer her,
Wenn sie der Muth sticht, dem Befehl zu trotzen.
(Weiber gehen)
Tell mit der Armbrust tritt auf, den Knaben an der Hand führend. Sie gehen an dem Hut vorbei gegen die vordere Scene, ohne
darauf zu achten.
WALTHER
(zeigt nach dem Bannberg)
Vater ists wahr, daß auf dem Berge dort
Die Bäume bluten, wenn man einen Streich
Drauf führte mit der Axt?
|125| TELL
Wer sagt das Knabe?
WALTHER
Der Meister Hirt erzählts – Die Bäume seien
Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,
Dem wachse seine Hand heraus zum Grabe.
TELL
Die Bäume sind gebannt, das ist die Wahrheit.
– Siehst du die Firnen dort, die weißen Hörner,
Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?
WALTHER
Das sind die Gletscher, die des Nachts so donnern,
Und uns die Schlaglawinen niedersenden.
TELL
So ists, und die Lawinen hätten längst
Den Flecken Altorf unter ihrer Last
Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht
Als eine Landwehr sich dagegen stellte.
WALTHER
(nach einigem Besinnen)
Giebts Länder, Vater, wo nicht Berge sind?
|126| TELL
Wenn man hinunter steigt von unsern Höhen,
Und immer tiefer steigt, den Strömen nach,
Gelangt man in ein großes ebnes Land,
Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,
Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn,
Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen,
Das Korn wächst dort in langen schönen Auen,
Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.
WALTHER
Ey Vater, warum steigen wir denn nicht
Geschwind hinab in dieses schöne Land,
Statt daß wir uns hier ängstigen und plagen?
TELL
Das Land ist schön und gütig wie der Himmel,
Doch die’s bebauen, sie genießen nich[t]
Den Segen, den sie pflanzen.
WALTHER
Wohnen sie
Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?
|127| TELL
Das Feld gehört dem Bischoff und dem König.
WALTHER
So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?
TELL
Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.
WALTHER
Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom?
TELL
Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.
WALTHER
Wer ist der König denn, den alle fürchten?
TELL
Es ist der Eine, der sie schützt und nährt.
WALTHER
Sie können sich nicht muthig selbst beschützen?
TELL
Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.
WALTHER
Vater, es wird mir eng im weiten Land,
Da wohn’ ich lieber unter den Lawinen.
|128|
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