Wilhelm Tell
Abgrund.
Und als der Herre mein ansichtig ward,
Und mich erkannte, den er kurz zuvor
Um kleiner Ursach’ willen schwer gebüßt,
Und sah mich mit dem stattlichen Gewehr
Daher geschritten kommen, da verblaßt’ er,
Die Knie versagten ihm, ich sah es kommen,
Daß er jezt an die Felswand würde sinken.
– Da jammerte mich sein, ich trat zu ihm
Bescheidentlich und sprach: Ich bin’s, Herr Landvogt.
Er aber konnte keinen armen Laut
Aus seinem Munde geben – Mit der Hand nur
Winkt’ er mir schweigend, meines Wegs zu gehn,
Da gieng ich fort, und sandt’ ihm sein Gefolge.
|111| HEDWIG
Er hat vor dir gezittert – Wehe dir!
Daß du ihn schwach gesehn, vergiebt er nie.
TELL
Drum meid ich ihn, und er wird mich nicht suchen.
HEDWIG
Bleib heute nur dort weg. Geh lieber jagen.
TELL
Was fällt dir ein?
HEDWIG
Mich ängstigts. Bleibe weg.
TELL
Wie kannst du dich so ohne Ursach’ quälen?
HEDWIG
Weils keine Ursach’ hat – Tell, bleibe hier.
TELL
Ich habs versprochen, liebes Weib, zu kommen.
HEDWIG
Mußt du, so geh – Nur lasse mir den Knaben!
WALTHER
Nein, Mütterchen. Ich gehe mit dem Vater.
|112| HEDWIG
Wälty, verlassen willst du deine Mutter?
WALTHER
Ich bring dir auch was hübsches mit vom Ehni.
(geht mit dem Vater)
WILHELM
Mutter, ich bleibe bei dir!
HEDWIG
(umarmt ihn)
Ja, du bist
Mein liebes Kind, du bleibst mir noch allein!
(Sie geht an das Hofthor, und folgt den Abgehenden lange mit den Augen)
ZWEITE SCENE
Eine eingeschlossene wilde Waldgegend, Staubbäche stürzen von den Felsen.
BERTHA
im Jagdkleid. Gleich darauf
RUDENZ
BERTHA
Er folgt mir. Endlich kann ich mich erklären.
RUDENZ
(tritt rasch ein)
Fräulein, jezt endlich find ich euch allein,
Abgründe schließen rings umher uns ein,
|113| In dieser Wildniß fürcht’ ich keinen Zeugen,
Vom Herzen wälz’ ich dieses lange Schweigen –
BERTHA
Seid ihr gewiß, daß uns die Jagd nicht folgt?
RUDENZ
Die Jagd ist dorthin aus – Jezt oder nie!
Ich muß den theuren Augenblick ergreifen –
Entschieden sehen muß ich mein Geschick,
Und sollt es mich auf ewig von euch scheiden.
– O waffnet eure gütgen Blicke nicht
Mit dieser finstern Strenge – We r bin ich,
Daß ich den kühnen Wunsch zu euch erhebe?
Mich hat der Ruhm noch nicht genannt, ich darf
Mich in die Reih’ nicht stellen mit den Rittern,
Die siegberühmt und glänzend euch umwerben.
Nichts hab ich als mein Herz voll Treu und Liebe –
BERTHA
(ernst und streng)
Dürft Ihr von Liebe reden und von Treue,
Der treulos wird an seinen nächsten Pflichten?
(Rudenz tritt zurück)
|114| Der Sklave Oesterreichs, der sich dem Fremdling
Verkauft, dem Unterdrücker seines Volks?
RUDENZ
Von euch, mein Fräulein, hör’ ich diesen Vorwurf?
Wen such’ ich denn, als Euch auf jener Seite?
BERTHA
Mich denkt ihr auf der Seite des Verraths
Zu finden? Eher wollt’ ich meine Hand
Dem Geßler selbst, dem Unterdrücker schenken,
Als dem Naturvergeßnen Sohn der Schweiz,
Der sich zu seinem Werkzeug machen kann!
RUDENZ
O Gott, was muß ich hören!
BERTHA
Wie? Was liegt
Dem guten Menschen näher als die Seinen?
Giebts schönre Pflichten für ein edles Herz,
Als ein Vertheidiger der Unschuld seyn,
Das Recht des Unterdrückten zu beschirmen?
– Die Seele blutet mir um euer Volk,
Ich leide mit ihm, denn ich muß es lieben,
|115| Das so bescheiden ist und doch voll Kraft,
Es zieht mein ganzes Herz mich zu ihm hin,
Mit jedem Tage lern ich’s mehr verehren.
– Ihr aber, den Natur und Ritterpflicht
Ihm zum gebohrenen Beschützer gaben,
Und der’s verläßt, der treulos übertritt
Zum Feind, und Ketten schmiedet seinem Land,
Ihr seids, der mich verlezt und kränkt, ich muß
Mein Herz bezwingen, daß ich euch nicht hasse.
RUDENZ
Will ich denn nicht das Beste meines Volks?
Ihm unter Oestreichs mächtgem Zepter nicht
Den Frieden –
BERTHA
Knechtschaft wollt ihr ihm bereiten!
Die Freiheit wollt ihr aus dem lezten Schloß,
Das ihr noch auf der Erde blieb, verjagen.
Das Volk versteht sich besser auf sein Glück,
Kein Schein verführt sein sicheres Gefühl,
Euch haben sie das Netz ums Haupt geworfen –
|116| RUDENZ
Bertha! Ihr haßt mich, ihr verachtet mich!
BERTHA
Thät ichs, mir wäre besser – Aber den
Verachtet sehen und verachtungswerth,
Den man gern lieben möchte –
RUDENZ
Bertha!
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