Wilhelm Tell
erhalten.
(er legt seine Hand auf das Haupt des Kindes, das vor ihm auf den Knieen liegt)
Aus diesem Haupte, wo der Apfel lag,
Wird euch die neue beßre Freiheit grünen,
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.
STAUFFACHER
(zu Walther Fürst)
Seht, welcher Glanz sich um sein Aug ergießt!
Das ist nicht das Erlöschen der Natur,
Das ist der Stral schon eines neuen Lebens.
|176| ATTINGHAUSEN
Der Adel steigt von seinen alten Burgen,
Und schwört den Städten seinen Bürgereid,
Im Uechtland schon, im Thurgau hats begonnen,
Die edle Bern erhebt ihr herrschend Haupt,
Freiburg ist eine sichre Burg der Freien,
Die rege Zürich waffnet ihre Zünfte
Zum kriegerischen Heer – Es bricht die Macht
Der Könige sich an ihren ewgen Wällen –
(er spricht das folgende mit dem Ton eines Sehers – seine Rede steigt bis zur Begeisterung)
Die Fürsten seh ich und die edeln Herrn
In Harnischen heran gezogen kommen,
Ein harmlos Volk von Hirten zu bekriegen.
Auf Tod und Leben wird gekämpft und herrlich
Wird mancher Paß durch blutige Entscheidung.
Der Landmann stürzt sich mit der nakten Brust,
Ein freies Opfer, in die Schaar der Lanzen,
Er bricht sie, und des Adels Blüthe fällt,
Es hebt die Freiheit siegend ihre Fahne.
(Walther Fürsts und Stauffachers Hände fassend)
|177| Drum haltet fest zusammen – fest und ewig –
Kein Ort der Freiheit sei dem andern fremd –
Hochwachten stellet aus auf euren Bergen,
Daß sich der Bund zum Bunde rasch versammle –
Seid einig – einig – einig –
(er fällt in das Küssen zurück – seine Hände halten entseelt noch die andern gefaßt. Fürst und Stauffacher betrachten ihn
noch eine Zeitlang schweigend, dann treten sie hinweg, jeder seinem Schmerz überlassen. Unterdessen sind die Knechte still
herein gedrungen, sie nähern sich mit Zeichen eines stillern oder heftigern Schmerzens, einige knieen bei ihm nieder und weinen
auf seine Hand, während dieser stummen Scene wird die Burgglocke geläutet)
Rudenz zu den Vorigen
RUDENZ
(rasch eintretend)
Lebt er? O saget, kann er mich noch hören?
WALTHER FÜRST
(deutet hin mit weggewandtem Gesicht)
Ihr seid jezt unser Lehensherr und Schirmer,
Und dieses Schloß hat einen andern Nahmen.
RUDENZ
(erblickt den Leichnam und steht von heftigem Schmerz ergriffen)
|178| O gütger Gott – Kommt meine Reu zu spät?
Konnt’ er nicht wenge Pulse länger leben,
Um mein geändert Herz zu sehn?
Verachtet hab ich seine treue Stimme,
Da er noch wandelte im Licht – Er ist
Dahin, ist fort auf immerdar, und läßt mir
Die schwere unbezahlte Schuld! – O saget!
Schied er dahin im Unmuth gegen mich?
STAUFFACHER
Er hörte sterbend noch was ihr gethan,
Und segnete den Muth, mit dem ihr spracht!
RUDENZ
(kniet an dem Todten nieder)
Ja heilge Reste eines theuren Mannes!
Entseelter Leichnam! Hier gelob ich dirs
In deine kalte Todtenhand – Zerrissen
Hab ich auf ewig alle fremden Bande,
Zurückgegeben bin ich meinem Volk,
Ein Schweitzer bin ich und ich will es seyn
Von ganzer Seele ––
(aufstehend)
Trauert um den Freund,
|179| Den Vater aller, doch verzaget nicht!
Nicht bloß sein Erbe ist mir zugefallen,
Es steigt sein Herz, sein Geist auf mich herab,
Und leisten soll euch meine frische Jugend,
Was euch sein greises Alter schuldig blieb.
– Ehrwürdger Vater, gebt mir eure Hand!
Gebt mir die Eurige! Melchthal auch ihr!
Bedenkt euch nicht! O wendet euch nicht weg!
Empfanget meinen Schwur und mein Gelübde.
WALTHER FÜRST
Gebt ihm die Hand. Sein wiederkehrend Herz
Verdient Vertraun.
MELCHTHAL
Ihr habt den Landmann nichts geachtet.
Sprecht, wessen soll man sich zu euch versehn?
RUDENZ
O denket nicht des Irrthums meiner Jugend!
STAUFFACHER
(zu Melchthal)
Seid einig! war das lezte Wort des Vaters,
Gedenket dessen!
|180| MELCHTHAL
Hier ist meine Hand!
Des Bauern Handschlag, edler Herr, ist auch
Ein Manneswort! Was ist der Ritter ohne uns?
Und unser Stand ist älter als der eure.
RUDENZ
Ich ehr’ ihn, und mein Schwert soll ihn beschützen.
MELCHTHAL
Der Arm, Herr Freiherr, der die harte Erde
Sich unterwirft und ihren Schooß befruchtet,
Kann auch des Mannes Brust beschützen.
RUDENZ
Ihr
Sollt meine Brust, ich will die eure schützen,
So sind wir einer durch den andern stark.
– Doch wozu reden, da das Vaterland
Ein Raub noch ist der fremden
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