Will Trent 01 - Verstummt
nach Hause.«
233
Kapitel 28
8. Februar 2006 9.24 Uhr
Angie kannte Gina Ormewood von Kens Abschiedsfest. Sie war eine unscheinbare Frau, die nicht zu wissen schien, dass dickes Make-up Akne nur noch schlimmer machte und ein Friseur, der weniger als zehn Dollar verlangte, einem nicht gerade einen Gefallen tat. Wenn Angie nicht noch in dieser Nacht ihren Ehemann gefickt hätte, würde sie sich wahrscheinlich überhaupt nicht an sie erinnern. So allerdings wusste sie, dass Gina im Piedmont Hospital arbeitete, was bei großzügiger Betrachtung ungefähr auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte lag - falls man den Strich vor dem Schnapsladen an der Cheshire Road so bezeichnen konnte.
Sie hatte im Krankenhaus angerufen, um sich zu erkundigen, ob Gina Ormewood Dienst hatte. Die Schicht der Frau fing erst in zwanzig Minuten an, aber sie hatte nichts Besseres zu tun, als zu warten. Als sie zum Krankenhaus kam, war sie froh, so früh dran zu sein. Die Autos standen bis auf die Straße, das Parkdeck schien voll belegt zu sein. Nach einer Weil gab Angie es auf. Sie zeigte dem Wachmann, der vor der Notaufnahme stand, ihre Marke und stellte ihr Auto auf einem Behindertenparkplatz ab.
Ungefähr ein Dutzend Leute wartete vor dem Eingang zur Notaufnahme, alle mit Zigaretten zwischen den Lippen. Mit angehaltenem Atem ging Angie durch die Rauchschwaden. Sie hasste Zigaretten, weil sie sie immer an die Brandnarben auf Wills Körper erinnerten. Jemand hatte Stunden damit zugebracht, das Fleisch an den Rändern seiner Schulterblätter zu versengen und seine Rippenbogen mit einem obszönen Muster zu versehen.
Sie schauderte bei dem Gedanken.
Der Mann an der Anmeldung schaute nicht einmal hoch, als Angie vor ihm stand. »Schreiben Sie Ihren Namen da rein, und nehmen Sie Platz.«
Sie hielt ihm ihre Marke unter die Nase, er verweigerte ihr dennoch die Höflichkeit des Augenkontakts. »Sie müssen mit der Krankenhausverwaltung reden, wenn Sie Akteneinsicht wollen.«
Sie schaute auf sein Namensschildchen. »Keine Akten, Tank. Ich bin hier wegen Gina Ormewood.
Jetzt sah er auf. »Was wollen Sie von Gina?«
»Es geht um ihren Mann.«
»Ich hoffe, der Schweinehund ist tot.«
»Passen Sie auf, was Sie sagen.« Das kam automatisch, wobei ihr aber nicht entgangen war, dass der Mann Michael ganz offensichtlich hasste.
Tank stand auf und musterte sie. Angie trug Arbeitskleidung, was hieß, dass sie aussah wie eine Nutte. Trotzdem war sie noch Polizistin und dieser Kerl kein Idiot.
Sie fragte: »Was glauben Sie, wann Gina hier sein wird?«
»Sie kommen ihr aber nicht blöd.« Das war keine Frage.
»Ich will nur mit ihr reden.«
Er musterte sie weiter, als könnte er allein dadurch feststellen, ob sie Schwierigkeiten machen würde. Bei seiner Arbeit hier an der Anmeldung hatte er wahrscheinlich die entsprechenden Instinkte entwickelt. »Geben Sie ihr noch zehn Minuten«, sagte er. »Sie kommt immer früh.«
»Danke.« Angie steckte ihre Marke wieder in die Handtasche und setzte sich auf den einzigen freien Stuhl im überfüllten Wartebereich.
Ihr gegenüber saßen ein älterer Mann und eine ältere Frau, die, als sie hier ankamen, wahrscheinlich in Angies Alter gewesen waren. Die Frau schaute Angie angewidert an, der Mann eher interessiert. Der Kerl musste mindestens achtzig sein, und trotzdem fragte er sich wahrscheinlich, wie viel Geld er in seiner Brieftasche hatte. Seine Frau schnäuzte sich in ein schon mehrmals gebrauchtes Tempo. Sie machte den Eindruck, als würde sie gleich umkippen. Angie spreizte die Beine, und der Mann wurde bleich. Die Frau sah aus, als bekäme sie einen Herzanfall.
Bevor die beiden sich einen anderen Platz suchen konnten, stand Angie auf und ging zum Zeitschriftenständer. Gott, war dieser Laden deprimierend; der Wartebereich wimmelte von Keimen und Krankheiten. Jeder, der dachte, Amerika besäße kein staatliches Gesundheitswesen, sollte ein paar Stunden in einer Notaufnahme verbringen. Irgendjemand bezahlte, damit die NichtVersicherten und Mittellosen zum Arzt gehen konnten, und es waren auf jeden Fall nicht die NichtVersicherten und Mittellosen. Scheiße, heutzutage war man ohne Versicherung fast besser dran. Man bekam dieselbe beschissene Behandlung, aber man bezahlte weniger.
Während Angie auf Gina Ormewood wartete, blätterte sie im Field & Stream und dann im Ladies Home Journal vom vorletzten Weihnachten. Gestern war Michael zu weit gegangen. Er hatte sie angegrinst wie ein Affe, als sie
Weitere Kostenlose Bücher