Will Trent 01 - Verstummt
Zustand, in dem er gewesen war, als Will ihn das letzte Mal sah.
»Zwei Stunden lang musste ich in diesem gottverdammten Rock herumsitzen« - er hörte etwas gegen die Wand klatschen und vermutete, dass es dieser Rock war -, »und dieser Wichser rückt mir auf die Pelle und reißt Witzchen, als wären wir die allerbesten Freunde.«
Will hatte seinen Schlüssel bereits eine Stunde zuvor benutzt, um Aleesha Monroes Post auf den Couchtisch zu legen, damit er sie nicht die ganze Nacht in der Hand halten musste. Jetzt setzte er sich auf die Couch und sortierte sie für Angie in ordentliche Stapel.
»Ich schwöre bei Gott, Will«, hörte er Angie sagen, die nun wieder den Gang entlangkam. »An manchen Tagen schaue ich mir diese Mädchen an und denke mir, die werden von ihren Luden besser behandelt als ich von diesen Schwanzlutschern, mit denen ich arbeiten muss.«
Die Pantoffeln patschten gegen ihre Fersen, als sie in die Küche ging. Er hörte die Kühlschranktür aufgehen, Eis in einem Glas klimpern. Sie öffnete eine Flasche und goss sich etwas ein, knallte dann den Kühlschrank wieder zu. Sekunden später saß sie neben ihm auf der Couch, streifte die Pantoffeln ab und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glas.
Will konnte nicht anders. Sein Rücken versteifte sich wie der eines katholischen Schulmädchens. »Hast du vor, das vor meinen Augen zu trinken?«
Sie drückte ihren nackten Fuß an sein Bein und sagte: »Nur bis du anfängst, hübsch auszusehen.«
»Tu das nicht.«
»Was soll ich nicht tun?«, fragte sie neckisch und stupste ihn noch einmal an.
Er wandte sich ihr zu, und genau darauf hatte sie gewartet. Angie legte sich auf den Rücken, den Fuß noch immer an seinem Bein. Sie trug einen kurzen
schwarzen Bademantel und sonst nichts. Der Gürtel war nur locker zugebunden, und zwischen den Mantelfalten sah er ein Haarbüschel.
Will schnürte es die Kehle zu. Sein Mund war so voller Speichel, dass er die Lippen zusammenpressen musste, um nicht zu sabbern.
Sie sagte: »Ich schätze, du hast rausgefunden, dass mein Kerl ein Pädophiler ist.«
Will stand so schnell auf, dass ihm kurz schwindlig wurde. »Was?«
»Shelley«, sagte sie beiläufig. »Ich nehme an, du hast dir seine Akte besorgt?«
Will legte die Hand vor die Augen, als würde das, was er eben gehört hatte, sich ändern, wenn er sie nicht mehr sah. »Er ist ein Pädophiler?«
Sie grinste ihn seltsam an. »Ist dir eigentlich klar, dass du schreist?«
Will senkte die Stimme. »Du hast mich gebeten, einen Pädophilen für dich zu überprüfen?« Er ging zum Kamin und hätte am liebsten die Faust in die Ziegel gerammt. »Was denkst du dir eigentlich, verdammt noch mal? Ist das jetzt dein Neuer? Mein Gott, ich mache mir Gedanken wegen Ormewood, und du...«
»Was hat er gesagt?«
Ihr Ton hatte sich verändert, und die Luft im Zimmer schien kälter geworden zu sein. Er fragte: »Was hat wer gesagt?«
Sie setzte sich auf, schlug die Beine übereinander und bedeckte sich mit dem Bademantel. »Du weißt verdammt gut, von wem ich rede.«
»Nein«, entgegnete er. »Das tue ich nicht.«
Sie stellte das Glas neben die Post auf den Tisch. »Was ist das?«
»Ich weiß, dass du mit ihm geschlafen hast.«
»Ein echter Gentleman, dieser Michael Ormewood. Hat dir alle Details erzählt, was?« Sie lachte trocken auf, während sie in der Post blätterte, die er mitgebracht hatte. »Muss doch ein Riesen spaß für euch gewesen sein, Erfahrungen auszutauschen. Kein Wunder, dass der Wichser heute Nachmittag so fröhlich war.«
»Er hat mir überhaupt nichts erzählt«, entgegnete Will. »Ich bin selbst drauf gekommen.«
»Gebt dem Detective einen Orden.« Sie hob das Glas in seine Richtung und nahm dann einen großen Schluck. Er sah ihren Kehlkopf hüpfen, während sie schluckte und schluckte, bis das Glas leer war.
Will drehte ihr den Rücken zu und betrachtete das Bild über dem Kaminsims. Es handelte sich um ein Triptychon, drei mit Scharnieren verbundene
Leinwände, die in geöffnetem Zustand ein Bild ergaben und in geschlossenem ein anderes. Er war immer davon ausgegangen, dass ihr die Doppeldeutigkeit des Werks gefiel. Es schien wie Angie zu sein, innen so und außen anders. Auch wie Michael Ormewood, wenn man darüber nachdachte. Was für ein perfektes Paar.
»Aleeshas Post«, bemerkte Angie schließlich. »Hast du die eben erst entdeckt?«
Er nickte.
»Warum hat Michaels Team nicht schon früher danach gesucht?«
Will räusperte sich.
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