Will Trent 01 - Verstummt
verband.
»Hol Kathy wieder rein«, bat er. »Ich glaube, sie sollte das auch hören.«
Kapitel 32
27.22 Uhr
Will saß in seinem Büro und versuchte, nicht Däumchen zu drehen. Er hatte Luther Morrison einen Besuch abgestattet, Jasmine Allison... was? Wie bezeichnete man einen dreißigjährigen Mann, der Sex mit einem vierzehnjährigen Mädchen hatte? Will hatte sich für »perverses Schwein« entschieden, und es hatte ihn größte Überwindung gekostet, diesem Kerl nicht ins Gesicht zu schlagen.
Nach diesem erfreulichen Besuch war Will in die City Hall East zurückgekehrt und hatte Amanda Wagner über die Entwicklung des Falls informiert. Sie hatte ihm keine überwältigenden Einsichten geliefert, aber sich ihn auch nicht zur Brust genommen, weil er nicht sonderlich viel zu berichten wusste. Amanda stellte hohe Anforderungen, aber sie erkannte auch, wenn ein Fall schwierig war.
Das Einzige, was sie ihm sagte, war, dass er sich nicht so sehr auf das verschwundene Mädchen konzentrieren solle. Wills Fall war der Mord an Aleesha Monroe und dessen mögliche Verbindung zu den anderen Mädchen, nicht eine Ausreißerin namens Jasmine Allison. Alles, was er hatte, war die Geschichte eines zehnjährigen Jungen und ein ungutes Gefühl. Amanda respektierte zwar seinen Instinkt, hatte aber nicht vor, nur deswegen Zeit und Mittel zu verschwenden. Sie fasste es für ihn mit ihrem gewohnt herzerwärmenden Pragmatismus zusammen: Das Mädchen war schon des Öfteren durchgebrannt. Sie ging mit einem Mann, der doppelt so alt war wie sie. Ihre Mutter befand sich im Gefängnis, der Vater weiß Gott, wo, und ihre Großmutter schaffte es an den meisten Tagen ohne Hilfe nicht einmal aus ihrem Sessel.
Zu einem Fall würde diese Geschichte nur, wenn sie nicht durchgebrannt wäre.
Die DeKalb-Polizei war in Cynthia Barretts Fall noch keinen Schritt weitergekommen, und man war dort auch nicht allzu erpicht auf einen Informationsaustausch mit Will. Die von Pete aus dem Vaginalabstrich isolierte DNS war zu kontaminiert für eine Untersuchung. Die Toxikologieergebnisse waren noch nicht da, und Will hielt nicht gerade den Atem an, weil er aus dieser Ecke etwas umwerfend Aufschlussreiches erwartete.
Was Aleesha Monroe anging, hatte die Spurensicherung nichts Weltbewegenderes berichtet, als das, was Will selbst schon gesehen hatte: Die Wohnung war erstaunlich sauber. Er hatte sogar die Techniker noch einmal hingeschickt, um den Fleck hinter Monroes Tür zu untersuchen, den er am Abend von Jasmins Verschwinden entdeckt hatte. Sie konnten nicht genug Material sicherstellen, um etwas anderes herauszufinden, als dass es sich um menschliches Blut handelte.
Die einzige Spur, der Will jetzt noch nachgehen konnte, war der ihm von Leo Donnelly auf den Schreibtisch gelegte Stapel Papier. Will hatte die Seiten gezählt, damit er wusste, was ihm bevorstand. Etwa sechzig Strafregisterauszüge, jeweils zwei bis drei Seiten, samt allen Details der grässlichen Verbrechen der kürzlich entlassenen Sexualstraftäter aus dem Großraum Atlanta.
So verzweifelt war er noch nicht.
Will öffnete die neonpinkfarbene Aktenmappe auf seinem Schreibtisch und zog eine beschreibbare DVD aus der hinteren Einschubtasche. Er legte sie in seinen Computer ein und drückte PLAY.
Der Monitor zeigte zwei Frauen und einen Mann, die mit einem Mädchen im Teenageralter an einem Tisch saßen. Der Mann sprach zuerst, er identifizierte sich als Detective Dave Sanders vom Tucker Police Department und nannte dann die Namen der beiden Frauen, bevor er sagte: »Dies ist die Aussage von Julie Renee Cooper, Fallnummer sechzehn-vierzig-drei-sieben. Heute ist der neunte Dezember zweitausendundfünf.«
Julie Cooper beugte sich zum Mikrofon. Die Kamera war auf Totale gestellt, und man sah die Beine des Mädchens unter dem Tisch knapp über dem Boden baumeln.
»Ich bin ins Kino gegangen«, begann das Mädchen, doch was sie sagte, war nur schwer zu verstehen. Will wusste, dass man ihr die abgetrennte Zunge erst kurz vor der Entstehung dieser Aufnahme wieder angenäht hatte. »In der
Gasse war ein Mann.« Will hatte sich die Aussage dieses Teenagers schon so oft angeschaut, dass er ihre Geschichte fast auswendig mitsprechen konnte. Er wusste, wann sie abbrach, um den Kopf auf den Tisch zu legen und zu weinen, und wann sie sich so aufregte, dass die Aufnahme unterbrochen wurde.
Ihr Entführer hatte sie in die Gasse gezerrt. Julie war zu verängstigt gewesen, um zu schreien. Er trug eine
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