Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
Michael begriff, dass er gleich sterben würde. Dann würde John den Griff wieder lockern, würde Woody kurz vor dem Ende wieder zurückholen, nur um die Angst zu sehen, das absolute Entsetzen, wenn Michael erkannte, dass er ihm völlig ausgeliefert war. Und dann würde John einfach weggehen. Irgendwo am Ende der Welt würde er ihn ganz allein sterben lassen.
    »John?«, fragte Joyce. Sie war schon immer sehr intuitiv gewesen, hatte immer gewusst, wenn ihn etwas beschäftigte.
    Er schlug das Notizbuch noch einmal auf, überflog die Handschrift seiner Mutter. »Was ist das?«, fragte er. »Bradykardie. Was heißt das?«
    Joyce ging zu einem der Aktenschränke und zog eine Schublade auf. »Als du verhaftet wurdest«, sagte sie, »warst du so schwach, dass du dich nicht auf den Beinen halten konntest.«
    »Ja.« Er hatte damals schreckliche Angst gehabt.
    »Man brachte dich ins Krankenhaus. Mom beharrte darauf, dass da irgendwas nicht stimmt.« Sie blätterte in den Akten. »Sie ließ ein EKG machen, ein EEG, eine Blutanalyse, Kernspinuntersuchung.«
    John konnte sich an all das nur sehr vage erinnern. »Warum?«
    »Weil sie wusste, dass da etwas nicht stimmte.« Joyce hatte endlich gefunden, wonach sie suchte. »Hier.«
    Joyce wartete, während er den Bericht zur Hand nahm und ihn durchlas. Die Werte der Testergebnisse sagten ihm nichts, aber John hatte in der
    Krankenstation des Gefängnisses gearbeitet. Er wusste, nach welchem Abschnitt er suchen musste. Den handschriftlichen Eintrag des Arztes unter der Rubrik »Schlussfolgerungen« las er laut vor.
    »>Ruhepuls unter sechzig, ataktische Atmung und der körperliche Allgemeinzustand deuten auf eine Drogenintoxikation hin.«< Er sah Joyce an. »Ich habe Drogen genommen, Joyce. Das habe ich nie bestritten.«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Lies den Rest.«
    John las nun leise weiter. Der Doktor hatte darauf hingewiesen, dass Johns Symptome nicht übereinstimmend seien mit einer Überdosis Kokain und Heroin. Er vermutete, dass noch eine andere Droge im Spiel war. Weitere Bluttests erbrachten keine eindeutigen Ergebnisse, aber es wurde empfohlen, die am Tatort gefundene pulverige Substanz genauer zu untersuchen.
    Die pulverige Substanz. Michael hatte ihm das Tütchen geschenkt. John hatte bis dahin noch nie Heroin genommen und geglaubt, dass der gute alte Woody ihm nur einen Gefallen erweisen wollte, tatsächlich aber hatte er ihm etwas gegeben, das ihn umhauen sollte. Nicht nur umhauen. Vielleicht war außer Kokain und Heroin noch etwas anderes in dem Tütchen gewesen. John wusste aus Gesprächen, dass Labore nur finden konnten, wonach sie spezifisch suchten. Vielleicht hatte Michael das Speedball mit etwas noch Stärkerem gemixt, etwas, das die Sache erledigte, falls die flüchtige Mischung es nicht schaffte.
    »Was ist?«, fragte Joyce.
    Anscheinend zeichnete sich die Überraschung in seinem Gesicht ab. Er hatte sich die ganze Zeit nur auf Mary Alice konzentriert. Hatte Michael auch ihn umbringen wollen? Hatte er versucht, es sich so ganz einfach zu machen, indem er zuerst mit Mary Alice anstellte, was er mit ihr anstellen wollte, und die Schuld dann John quasi ins Grab hinterherwarf?
    Zwei Tage nach der Entdeckung von Mary Alices Leiche hatten Michael und seine Mutter John einen Besuch abgestattet. Er hatte im Bett gelegen, weil er sich beschissen fühlte. Seiner Mutter hatte er etwas von einer schlimmen Erkältung erzählt, tatsächlich aber konnte er kaum atmen, wenn er daran dachte, wie Mary Alices Leiche neben ihm in ihrem Bett gelegen hatte.
    Michael war so gewesen wie immer, zumindest soweit John sich erinnern konnte. Sein Cousin war bei ihm im Zimmer geblieben und hatte über irgendwas geredet - John wusste nicht mehr, worüber. Irgendwas Blödes, da war er sich ziemlich sicher. John war eingeschlafen. Hat Michael in dieser Zeit
    das Messer in Johns Schrank versteckt? Hat Michael zu diesem Zeitpunkt seinen Plan ausgeheckt? Oder hatte das bereits jemand anders getan, Michael mit dem Messer in sein Zimmer geschickt, um es in Johns Schrank zu verstecken, damit es etwas Konkretes gab, das ihn mit Mary Alices Schlafzimmer in Verbindung brachte?«
    »Johnny?«, fragte Joyce. So hatte sie ihn seit ihrer Kindheit nicht mehr genannt. »Was ist los?«
    Er klappte den Ordner zu. »Was weißt du noch über Tante Lydia?«
    »Sie war deine Anwältin.« Dann fügte sie hinzu: »Nach dem, was mit dir passiert ist, wechselte sie vom Strafrecht zum Körperschaftsrecht.

Weitere Kostenlose Bücher