Will Trent 01 - Verstummt
gebrauchen.«
»Ich...«
Angie stellte sich schnell auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf den Hals. Ihre Lippen fühlten sich weich an auf seiner Haut. Er spürte ihren warmen Atem, die Fingerspitzen, die in seine Schulter drückten. Sie sagte: »Ich liebe dich.«
Er sah ihr nach, wie sie die Einfahrt entlangging, den pinkfarbenen Plastikverband seitlich weggestreckt. Sie drehte sich noch einmal um und winkte, dann stieg sie ins Auto und fuhr davon.
Sie war beinahe stolz auf die Schnitte in ihrem Gesicht und an den Händen. Es war, als hätte sie endlich eine Möglichkeit gefunden, auch nach außen zu zeigen, was sie in ihrem Inneren schon die ganze Zeit fühlte. Er hatte sie nicht gefragt, was in dem Keller passiert war, hatte die Einstichwinkel von Michaels Wunden nicht zu genau untersucht und sie auch nicht gezählt. Will hatte sie nur in den Armen gehalten, sie hochgehoben und die Treppe hinaufgetragen, wollte sie beschützen, solange er konnte.
Und für wenigstens ein paar Stunden hatte sie das zugelassen.
Will wusste nicht, wie lange er so dagestanden und auf die leere Straße gestarrt hatte. Der Boss sang »Leah«, und Betty schnarchte an seiner Brust, als ein brauner Chevy Nova in die Auffahrt der Nachbarin einbog.
Betty wachte auf, als die Autotür zugeschlagen wurde.
Will ging durch seinen Garten zu der Frau, die mit ihrem Schuhabsatz gerade einen Holzpfahl in die Erde hämmern wollte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
Sie fuhr erschreckt hoch und hielt sich die Hand an die Kehle. »Gott, Sie haben mich zu Tode erschreckt.«
»Ich bin Will Trent.« Er deutete auf sein Haus. »Ich wohne nebenan.«
Sie schaute den Hund an und verzog angewidert den Mund. »Ich dachte, Mutter hätte gesagt, sie ist tot.« »Betty?«
»Ja, Betty. Wir haben sie in ein Pflegeheim gebracht.«
Will runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Betty, meine Mutter.« Die Frau war ungeduldig; ganz offensichtlich wollte sie nicht hier sein und vor allem vor Will nicht ins Detail gehen. »Sie lebt jetzt in einem Pflegeheim. Wir verkaufen das Haus.«
»Aber«, sagte Will. »Ich konnte sie hören...« Er sah auf den Hund hinunter. »Manchmal spätabends. Sie - Ihre Mutter - hat da manchmal jemanden angeschrien, den sie Betty nannte.«
»Sie hat sich selber angeschrien, Mr. Trent. Ist ihnen nie aufgefallen, dass meine Mutter total verrückt ist?«
Er dachte an das mitternächtliche Geschrei, daran, dass sie manchmal unvermittelt irgendwelche Revueliedchen trällerte, wenn sie auf ihrer Veranda die Plastikblumen goss. Das alles war Will nicht besonders merkwürdig vorgekommen, vor allem in einer so exzentrischen Nachbarschaft nicht. Man fiel nicht so leicht auf in einer Straße, in der sechs Hippies in einem Einzimmerappartement lebten, vor einer Mennonitenkirche eine Würstchenbude in Form eines Wiener Würstchens auf Waschbetonblöcken stand und ein zwei Meter großer Legastheniker ein Schoßhündchen an einer pinkfarbenen Leine spazierenführte.
Die Frau hatte eine Heftpistole dabei, mit der sie jetzt ein selbstgemaltes Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen vom Besitzer« an dem Pfahl befestigte. »So«, sagte sie. »Das sollte reichen.« Sie wandte sich wieder Will zu. »In den nächsten Tagen kommt jemand vorbei, um das Haus auszuräumen.«
»Aha.«
Sie zog sich den Schuh wieder an und warf die Heftpistole ins Auto.
»Moment«, sagte Will.
Sie stieg trotzdem ein und ließ das Fenster herunter, während sie bereits den Motor startete. »Was ist?«
»Der Hund«, sagte er und hob Betty hoch - falls sie überhaupt so hieß. »Was soll ich damit machen?«
»Ist mir egal«, antwortete sie und verzog bei dem Anblick des Hundes noch einmal den Mund. »Mutter konnte die kleine Töle nicht ausstehen.«
»Sie bat mich, sie zu bürsten«, sagte er, als würde das irgendetwas ändern.
»Wahrscheinlich meinte sie, Sie sollen sie verwursten.«
»Aber...«
Die Frau fing an zu keifen. »O Mann, bringen Sie sie doch meinetwegen ins Tierheim!«
Sie schaute sich kurz um, stieß dann rückwärts aus der Einfahrt und hätte dabei fast einen Jogger umgefahren. Beide Männer beobachteten, wie sie auf die Straße schlitterte und dabei Wills Mülleimer umstieß.
Der Jogger lächelte Will an und fragte: »Schlechter Tag, was?«
»Ja.« Will war nicht so höflich, wie er es hätte sein sollen, aber im Augenblick hatte er Wichtigeres im Kopf.
Er sah auf Betty hinunter. Die Glupschaugen vor Wohlbehagen halb
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