Will Trent 01 - Verstummt
bewegte.
»Ich habe vor einiger Zeit mit ihr gearbeitet«, teilte ihm Michael mit. »Sie ist in Ordnung.«
Trent schälte die Folie von dem Schokoriegel und biss hinein.
Michael glaubte, eine Erklärung schuldig zu sein. »Ist nur ab und zu ziemlich kurz angebunden.«
»Wenn ich mich jeden Tag zur Arbeit so anziehen müsste, wäre ich wahrscheinlich auch nicht gerade bester Laune.«
Michael beobachtete Trents Unterkiefer beim Kauen. Die Narbe auf der Wange schien deutlicher hervorzutreten. »Wo haben Sie diese Narbe her?«
Trent schaute auf seine Hand. »Nagelpistole«, antwortete er, und jetzt fiel Michael eine rosige Narbe auf der faltigen Haut zwischen Daumen und Zeigefinger des Mannes auf.
Das war nicht die Narbe, die Michael gemeint hatte, aber er spielte mit. »Sind Sie Heimwerker oder so was?«
»Habitat for Humanity.« Trent schob sich das letzte Stück Kit Kat in den Mund und warf das Plastik in den Abfalleimer. »Eine meiner Mitstreiterinnen hat mich mit einem galvanisierten Nagel getroffen.«
Für Michael fügte sich ein weiteres Stück ins Puzzle. Habitat for Humanity, Wohnraum für Menschen, war eine Freiwilligenorganisation, die Häuser für bedürftige Familien baute. Die meisten Polizisten entdeckten irgendwann ihre soziale Ader. Wenn man auf den Straßen arbeitete, vergaß man sehr leicht, dass es dort draußen auch gute Menschen gab. Man versuchte, diese Wunde in der eigenen Psyche zu heilen, indem man Menschen half, die wirklich hilfsbedürftig waren. Vor Tims Geburt hatte Michael in einer Kinderbetreuungsstätte gearbeitet. Leo hatte sich als Baseballtrainer im örtlichen Jugendklub engagiert, bis man ihm sagte, dass er auf dem Spielfeld nicht rauchen dürfe.
Trent sagte: »Ich würde gern den Tatort sehen.«
»Wir haben dort schon gestern Nacht alles auf den Kopf gestellt«, erwiderte Michael. »Glauben Sie, dass wir etwas übersehen haben?«
»Überhaupt nicht«, entgegnete Trent. Michael versuchte, irgendetwas Hinterhältiges in seinem Tonfall herauszuhören, aber vergeblich. »Ich möchte einfach nur ein Gefühl für den Tatort bekommen.«
»Machen Sie das bei anderen Fällen auch?«
»Ja«, antwortete Trent. »Das habe ich bis jetzt immer getan.«
Angie kam zurück. Ihre Absätze klapperten über den Fliesenboden. Sie hielt ihnen einen gelben Aktendeckel hin. »Das ist alles, was ich über Monroe habe.«
Trent griff nicht nach der Akte, also nahm Michael sie. Er klappte den Deckel auf und sah sofort Aleesha Monroes Kopfbild. Sie war auf ihre Art attraktiv. Die Härte in ihren Augen, mit denen sie direkt in die Kamera starrte, wirkte herausfordernd. Sie schaute verärgert drein, wahrscheinlich hatte sie sich gerade ausgerechnet, wie viel sie diesmal für die Kaution würde hinblättern müssen.
»Ihr Lude ist Baby G«, erklärte Angie. »Mieser Scheißkerl. Stand schon wegen tätlichem Angriff, Vergewaltigung und versuchtem Mord vor dem Kadi - hat wahrscheinlich zwei Anschläge auf zwei andere Kerle in Auftrag gegeben, aber man kann ihm einfach nichts anhängen.« Sie deutete auf ihren Mund und zeigte die Vorderzähne. »Hat eine vergoldete Beißleiste mit eingravierten Kreuzen, als wäre er Jesu Liebling.«
»Wo treibt er sich rum?«, erkundigte sich Michael.
»In den Homes«, gab sie zur Antwort. »Seine Großmutter wohnt im selben Haus wie Aleesha.«
Trent steckte wieder die Hände in die Hosentaschen und starrte Polaski an, als käme sie direkt vom Mars. Sein Schweigen war ärgerlich, und er strahlte eine gewisse Überheblichkeit aus, als wüsste er mehr, als er sagte, und würde sich köstlich darüber amüsieren, dass sie es nicht herausfanden.
»Haben Sie dem irgendetwas hinzuzufügen?«, fragte Michael ihn.
»Es ist Ihr Fall, Detective«, antwortete Trent. Dann wandte er sich an Angie. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Ma'am«, sagte er und schenkte ihr ein Lächeln, das bei etwas weniger Herablassung hätte freundlich wirken können.
Angie sah zu Michael, dann zu Trent, dann wieder zu Michael. Sie hob eine Augenbraue, eine Frage an Michael, die er nicht beantworten konnte. »Wie auch immer«, murmelte sie und hob dann die Hand, das universelle Zeichen eines resignierten Abschieds. Sie drehte ihnen den Rücken zu, und diesmal war Michael zu sauer, um diesen Anblick zu bewundern.
»Was ist eigentlich los mit Ihnen?«, wollte er von Trent wissen.
Der Tonfall schien Trent zu überraschen. »Wie bitte?«
»Wollen Sie den ganzen Tag nur herumstehen, oder sind Sie
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