Will Trent 01 - Verstummt
Beschäftigung hatte.
Das Leben der Familie war perfekt, außer für John.
Schon ziemlich früh fing er an zu lügen, und das scheinbar ohne Grund. John war zu Hause, wenn er gesagt hatte, er sei beim Fußballtraining. Er war beim Fußballtraining, wenn er gesagt hatte, er sei zu Hause. Seine Noten wurden schlechter. Er ließ sich die Haare lang wachsen. Und dann gab es da noch den Geruch. Es war fast so, als würde er sich nicht waschen, und wenn Emily seine Klamotten vom schmuddeligen Boden seines Zimmers klaubte, um sie in die Waschmaschine zu stopfen, fühlten sie sich beinahe an wie mit Teflon beschichtet.
Richard arbeitete sehr viel. Seine Arbeit war emotional und körperlich anstrengend. Er hatte weder die Zeit noch die Lust, sich um seinen Sohn zu kümmern. In Johns Alter war Richard mürrisch gewesen. Als Teenager hatte er Geheimnisse gehabt. Er kam in Schwierigkeiten, kriegte letztendlich aber doch die Kurve. Wird langsam Zeit, ihn von der Leine zu lassen, dem Jungen ein wenig Freiraum zu geben.
Emily machte sich Sorgen wegen Marihuana, deshalb erkannte sie die Gefahr nicht, als sie in der Jeans ihres Sohns weiße Pulverreste fand. »Aspirin«, sagte er.
»Warum hast du denn Aspirin in deiner Hosentasche?«
»Weil ich in letzter Zeit immer mal wieder Kopfweh kriege.«
Als Kind hatte John sich noch viel merkwürdigere Dinge in die Taschen gesteckt: Steine, Büroklammern, einen Frosch. Sie war besorgt wegen seiner Gesundheit. »Müssen wir dich zum Arzt bringen?«
»Mom!«
Er ließ sie mit seiner Hose in der Hand im Waschkeller stehen.
Die Shelleys glaubten wie die meisten wohlhabenden Paare, dass ihr Reichtum und ihre Privilegien ihre Kinder vor Drogen schützten. Dabei erkannten sie nicht, dass diese beiden Faktoren ihren Kindern nur halfen, an bessere Drogen heranzukommen. Auch ohne das wollte Emily Shelley glauben, ihr Sohn sei ein guter Junge, und genau das tat sie auch. Sie bemerkte den glasigen Blick nicht, den er nach dem Aufstehen hatte, die Augentropfen, die er ständig benutzte, den widerwärtigen, süßlichen Geruch, der aus dem Schuppen im Hinterhof kam. Was Dr. Richard anging, so schaute der beim Frühstück nicht über seine Zeitung hinaus und bemerkte deshalb nicht, dass die Pupillen seines Sohns groß waren wie Halbdollarmünzen und seine Nase öfter blutete als bei einigen der Krebspatienten auf seiner Station.
Das Leben zerbröselte ganz allmählich.
Eine Durchsuchung in der Schule brachte eine Tüte Gras in einem Turnschuh ganz hinten in Johns Spind zum Vorschein.
»Nicht meine Schuhe«, sagte John, und seine Mutter bestätigte, dass sie diese Schuhe noch nie an ihm gesehen habe.
Ein Sicherheitsmann des örtlichen Einkaufszentrums rief sie an, um ihnen mitzuteilen, dass man ihren Sohn beim Diebstahl einer Kassette ertappt habe.
»Ich habe nur vergessen, sie zu bezahlen«, meinte John achselzuckend, und seine Mutter wies darauf hin, dass er ja tatsächlich zwanzig Dollar in der Tasche habe. Warum um alles in der Welt sollte er etwas stehlen, das er bezahlen konnte?
Zur Katastrophe kam es dann eines Freitagnachts. Ein Assistenzart des Krankenhauses rief an und weckte Richard Shelley, um ihm mitzuteilen, dass sein Sohn mit einer Überdosis Kokain in der Notaufnahme liege.
Von wegen die Scheuklappen abnehmen. Ein medizinischer Beweis - das war etwas, das sein Vater seiner Mutter als Beleg für die Nutzlosigkeit ihres Sohns unter die Nase reiben konnte.
Am nächsten Abend saß John dann in seinem Zimmer und hörte mit, wie seine Eltern seinetwegen stritten, bis sein Vater irgendetwas in der Richtung von »... und damit Schluss!« schrie und seine Mutter in ihr Schlafzimmer rannte und die Tür hinter sich zuknallte. Kurz darauf war dann ersticktes Schluchzen zu hören. Er drehte seine Stereoanlage auf, und Def Leppard plärrte aus den Boxen, bis Joyce (die natürlich lernte) an die Wand zwischen ihren beiden Zimmern hämmerte und schrie: »Leiser, du Idiot!
John hämmerte zurück, nannte sie eine Schlampe und machte so viel Lärm, dass sein Vater in sein Zimmer stürmte, ihn am Arm in die Höhe riss und ihn fragte, was, zum Teufel, los sei mit ihm.
»Gegen was rebellierst du eigentlich?«, fragte Richard. »Du hast doch alles, was du dir nur wünschen kannst!«
»Warum?«, fragte seine Mutter ihren Jungen, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Was habe ich nur falsch gemacht?«
John zuckte die Achseln. Das war seine einzige Reaktion, wenn sie versuchten, ihn zur
Weitere Kostenlose Bücher