Will Trent 01 - Verstummt
blickte grinsend zu John hinunter.
»Du bist unten«, sagte er.
Wieder waren anzügliche Pfiffe zu hören, aber Everett ging bereits weiter und wies dem nächsten Gefangenen seine Zelle zu.
»Zebra«, sagte der Kerl, und John nahm an, dass das sein Name war. »John.«
»Wie alt bist du?« »Sechzehn.«
Zebra lächelte. Seine Zähne waren schwarz und weiß, gestreift wie ein Zebra. »Gefällt's dir?«, fragte er und deutete auf die Zähne. »Wir können deine auch so machen. Willst du?«
John schüttelte den Kopf. »Meine Mom würde mich umbringen.«
Zebra lachte; in dem Betonbau ein schockierendes Geräusch. »Aber jetzt mach dein Bett, Johnny. Magst du es, wenn man dich Johnny nennt?«, fragte er. »Nennt deine Mommy dich so?«
»Eigentlich nicht«, antwortete John. Zumindest nicht, seit er kein Baby mehr war.
»Du wirst hier drinnen schon zurechtkommen, Johnny«, meinte er, streckte die Hand aus und zerzauste ihm so wild die Haare, dass John den Kopf wegzog.
Zebra kicherte in sich hinein. »Ich kümmere mich schon um dich, mein Junge.«
Und das tat er auch.
Regelmäßig wie ein Uhrwerk kam er jeden Abend, nachdem das Licht ausgeschaltet war, herunter auf die untere Pritsche, drückte John das Gesicht ins Kissen und vergewaltigte ihn so heftig, dass am nächsten Morgen Blut kam, wenn er auf die Toilette ging. Weinen hielt ihn nicht davon ab. Schreien ließ ihn nur noch fester zustoßen. Am Ende der ersten Woche konnte John kaum noch stehen.
Zebra war ein Raubtier. Das wusste jeder im Gefängnis, vom Direktor über die Wärter bis zu den Jungs, die den Müll aus den Zellen holten. In dieser ersten Woche behielt er John für sich, doch dann lieh er ihn für Zigaretten und andere Schmuggelware auch an andere Männer aus. Drei Wochen später lag John im Gefängniskrankenhaus, das Arschloch zerfetzt, die Augen zugeschwollen vom Weinen.
Es war der erste der zwei Besuche, die Richard Shelley seinem Sohn im Gefängnis abstattete.
Er wurde von dem Wärter Everett, den John seit dem Tag seiner Einlieferung nicht mehr gesehen hatte, in den Krankenhaustrakt geführt.
»Hier ist er«, sagte Everett zu Richard und stellte sich dann an die Wand, um dem Mann ein wenig Platz zu lassen. »Sie haben zehn Minuten.«
Richard stand am Fußende von Johns Bett. Er starrte ihn einfach nur an und sagte lange Zeit gar nichts.
John schaute ihn ebenfalls an, zugleich erleichtert und beschämt. Er wollte die Hände nach seinem Dad ausstrecken, ihm
sagen, dass er ihn liebe und ihm alles, was er getan hatte, furchtbar leidtue und dass Richard recht habe, er sei wirklich völlig nutzlos. Er hatte nichts von dem verdient, was sein Dad ihm anbieten konnte, aber er wollte es, er brauchte es so sehr, dass sein Herz sich anfühlte, als würde es in Flammen stehen.
Schließlich sprach Richard mit einiger Mühe. »Hast du Schmerzen?«
John konnte nur nicken.
»Gut«, sagte sein Vater und klang dabei, als hätte die Gerechtigkeit gesiegt. »Jetzt weißt du, wie Mary Alice sich gefühlt hat.«
Kapitel 15
25. Oktober 2005
John wollte nicht mehr an seine erste Nacht im Gefängnis denken, aber die Erinnerung kehrte immer wieder zurück, wie ein Alptraum im Wachzustand.
Wenn in der Arbeit jemand hinter ihm ging, zuckte er zusammen. Ein lautes Geräusch von der Straße, und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Wenn er sich bückte, um den Schwamm aus dem Eimer zu holen und die Felgen eines Transporters oder einer Limousine zu polieren, überflutete sie sein Hirn.
Nachdem Zebra ihn herumgereicht hatte, brachte John einen ganzen Monat im Krankenhaustrakt zu. Als er wieder herauskam, stellte er fest, dass man ihn in die Schutzhaftabteilung verlegt hatte, wo alle anderen gefährlichen Sexualstraftäter einsaßen. Vielleicht dachten sie, dass Ben Carver sich John zu Gemüte führen und das beenden würde, was Zebra begonnen hatte, aber der ältere Mann hatte nur einen flüchtigen Blick auf den dürren Sechzehnjährigen geworfen und mit Enttäuschung in der Stimme gesagt: »Ein Brünetter! Ich habe doch einen Blonden verlangt!«
John wusste nicht, wer diese Verlegung in die Schutzhaft veranlasst hatte, aber auch wenn er es gewusst hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, demjenigen zu danken. Manchmal glaubte er, der Wärter Everett sei es gewesen, aber manchmal, wenn er nachts auf seiner Pritsche lag, stellte er sich vor, es sei sein Dad gewesen, der ihn gerettet hatte. Richard, der ins Büro des Direktors stürmte. Richard, der einen
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