Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
schon dachte, jemand erlaube sich einen Scherz mit ihm. Nur, wer könnte das schon sein? Er kannte niemanden, hatte in der normalen Welt keine Freunde.
    Sie trafen sich in einem schicken Cafe in einer Nebenstraße des Monroe Drive. John trug ein neues T-Shirt und seine einzige gute Hose, die Chino, die Joyce ihm geschickt hatte, damit er etwas zum Anziehen hatte, wenn er das Coastal verließ. Normalerweise bekam ein Insasse einfach die Kleidung zurück, in der man ihn eingeliefert hatte, aber John war in den Jahren seiner Inhaftierung um einiges kräftiger geworden und nicht mehr der dürre Junge von einst.
    Am Abend zuvor hatte er früher Feierabend gemacht, damit er den Geschenkladen ein Stückchen weiter unten an der Straße aufsuchen konnte. Eine ganze Stunde brauchte er, um eine Weihnachtskarte für Joyce zu finden. Immer wieder wechselte er zwischen den billigen und den schönen hin und her. Wegen des Wetters war das Geschäft im Gorilla eher flau. Immer häufiger schickte Art seine Leute nach Hause. John hatte zwar in den guten Zeiten so viel Geld gespart, wie er nur konnte, aber jetzt musste er sich endlich einen Wintermantel kaufen. Obwohl er nie gebrauchte Kleidung tragen wollte, blieb ihm keine andere Wahl, als in den Goodwill Store zu gehen. Der einzige Mantel, der ihm halbwegs passte, war am Kragen aufgerissen und hatte einen komischen Geruch, der ihm auch noch nach der Behandlung im Waschsalon anhaftete. Aber er war warm, und das war das einzig Wichtige.
    Joyce verspätete sich um fünf Minuten, und John hatte noch daran zu knabbern, dass er drei Dollar für eine Tasse Kaffee hatte zahlen müssen, nur um an einem der Tische Platz nehmen zu dürfen, als sie hereinrauschte. Sie wirkte abgehetzt. Die Sonnenbrille hatte sie nach oben auf den Kopf geschoben, und ihre langen, braunen Haare fielen ihr auf die Schultern.
    »Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte sie, zog einen Stuhl unter dem Tisch heraus und setzte sich ihm gegenüber. Sie ließ fünfzehn Zentimeter Abstand zwischen sich und dem Tisch, so dass der Abstand zwischen ihr und John noch größer wurde.
    »Willst du Kaffee?« Er stand auf, aber sie stoppte ihn mit einem knappen Kopfschütteln.
    »Ich treffe mich in zehn Minuten mit ein paar Freunden.« Sie hatte nicht einmal ihren Mantel ausgezogen. »Weiß überhaupt nicht, warum ich dich angerufen habe.«
    »Ich bin froh, dass du es getan hast.«
    Sie schaute zum Fenster hinaus. Auf der anderen Straßenseite befand sich ein Kino, und sie beobachtete die Leute, die an der Kasse anstanden.
    John zog die Weihnachtskarte aus seiner Tasche und war jetzt froh, dass er sich für die teurere entschieden hatte. Drei Dollar achtundsechzig, aber sie hatte an der Außenseite Flitter, und wenn man sie aufklappte, hüpfte eine Schneeflocke heraus.
    Als sie noch Kinder waren, hatte Joyce diese Pop-up-Bücher geliebt. Er erinnerte sich, dass sie besonders über das eine gekichert hatte, bei dem die Tiere eines Bauernhofs aus den Seiten sprangen.
    Er hielt ihr die Karte hin. »Für dich.«
    Sie nahm sie nicht, deshalb legte er sie auf den Tisch und schob sie ihr zu. Fast die ganze Nacht lang hatte er auf Notizpapier Formulierungen ausprobiert, weil er ihr keine Karte schenken wollte, auf der er Worte ausgestrichen oder, noch schlimmer, etwas Dummes geschrieben hatte, das die Karte ruinieren
    und ihn zwingen würde, eine neue zu kaufen. Unterschrieben hatte er ganz einfach mit »In Liebe, John«, weil ihm sonst nichts einfiel.
    Jetzt fragte er: »Was machst du denn die ganze Zeit?«
    Sie konzentrierte sich jetzt wieder auf ihn, als hätte sie vergessen, dass er da war. »Arbeiten.«
    »Ja.« Er nickte. »Ich auch.« Er versuchte, einen Witz daraus zu machen. »Natürlich nicht so was, was du machst, aber irgendjemand muss ja auch Autos waschen.«
    Sind fand das offensichtlich nicht lustig.
    Er starrte seine Tasse an und drehte sie in den Händen. Joyce war diejenige, die ihn angerufen und ihn in diesen Laden bestellt hatte, wo er sich nicht einmal ein Sandwich leisten konnte, aber dennoch kam er sich vor wie der böse Bube.
    Vielleicht war er ja der böse Bube.
    Er fragte sie: »Kannst du dich noch an Woody erinnern?«
    »An wen?«
    »Cousin Woody. Lydias Sohn.«
    Sie zuckte die Achseln, sagte aber: »Ja.«
    »Weißt du, was der jetzt so macht?«
    »Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass er zur Armee gegangen ist oder so was in der Richtung.« Ihre Augen funkelten. »Du hast doch nicht vor, wieder

Weitere Kostenlose Bücher