Will Trent 01 - Verstummt
ballte die Faust. Woody war knappe fünfzig Kilo schwerer als er, aber John war der festen Überzeugung, dass er ihm in den Arsch treten könnte und würde, wenn er Mary Alice auch nur noch einmal anrührte.
»Hey.« Woody hob die Hände und trat einen Schritt zurück. »Hab ja nicht gewusst, dass sie bereits dir gehört, kleiner Mann. Geh nur. Bring sie heim zu Mommy.«
»Lass die Finger von ihr«, warnte ihn John. »Ich meine es ernst.«
»Nichts für ungut«, entgegnete Woody, schielte aber noch immer lüstern nach Mary Alice, wie ein Löwe, dem man die Beute entrissen hatte. »Der Beste gewinnt.«
»Verdammt richtig.«
»Hier«, sagte Woody und schob die Hand in seine Jeanstasche. »Abschiedsgeschenk.« Er warf John eine Tüte mit einem weißen Pulver zu. »Nichts für ungut, okay, Cousin?«
Kapitel 19
6. Februar 2006
John war auf den Artikel nur durch Zufall gestoßen. Er hatte den Laderaum eines schlammverspritzten Subaru Forester gesaugt und griff nach einem Stapel Zeitungen, den er in den Abfall werfen wollte. Als ihm der ganze
Stapel wie ein Satz Spielkarten aus der Hand rutschte, bückte er sich, um die einzelnen Seiten aufzuheben, und ein Wort fiel ihm auf, das er noch nie zuvor gesehen hatte: Lokalteil.
Der Besitzer des Subaru stammte aus Clayton County, aber John wusste, wenn es eine spezielle Beilage für einen Ort gab, dann musste es auch welche für andere geben.
Art sagte er, er habe Magenprobleme, damit er früher von der Arbeit wegkam. Dann ging er direkt in die Zentrale der Fulton County Public Library. Um auf das Online-Archiv der Zeitung zugreifen zu können, brauchte man eine Kreditkarte, so bat er stattdessen um die Mikrofichefilme des Lokalteils für das Gwinnett County der letzten drei Monate. Zwei Stunden später hatte er gefunden, wonach er suchte. Der Artikel trug das Datum des 4. Dezember 2005.
IN SNELLVILLE MÄDCHEN AUS DEM EIGENEN VIERTEL ENTFÜHRT
Viele Details gab es nicht. Es wurde kein Name genannt, nur das Alter - vierzehn -, und berichtet wurde lediglich, dass das Mädchen unterwegs gewesen sei von ihrem Zuhause zum Haus ihrer Tante, die nur ein kleines Stück entfernt wohnte. Offensichtlich weigerte sich die Familie, mit der Presse zu sprechen, und es gab auch keine Erwähnungen von Verdächtigen oder Spuren, welche die Polizei verfolgte. John ging nun die folgenden Wochen durch und fand nur noch einen Artikel. Dieser fügte lediglich ein Detail hinzu, nämlich dass man das Mädchen am nächsten Tag in einem Graben fand, wo es sich versteckt hielt.
John schlug das Herz bis zum Hals, seit er auf den Artikel gestoßen war. Langsam setzte er die Teile des Puzzles zusammen. Bens Spiel mit dem »Was wäre, wenn« kam ihm immer wieder in den Sinn. Was wäre, wenn Woody Johns Identität bereits die letzten sechs Jahre benutzte, um seine Spuren zu verwischen? Was wäre, wenn Woody angenommen hatte, dass John nie wieder aus dem Gefängnis herauskommen würde? Was wäre, wenn Woody herausgefunden hatte, dass er wieder in Freiheit war, und deshalb beschlossen hatte, etwas dagegen zu unternehmen?
Das Auto hinter ihm hupte. John beschleunigte, bog in die erste Seitenstraße ein, an der er vorbeikam, und parkte hinter einem Kabellaster. Sein Herz klopfte so heftig, dass er sich richtig benommen fühlte. Er hatte das Gefühl, vor Angst und Panik gleich kotzen zu müssen.
Er legte den Kopf aufs Lenkrad und führte sich die vergangene Nacht noch einmal vor Augen. Sonntag. Der Superbowl-Sonntag. Die verdammten
Falcons spielten an diesem Abend, und John wollte das Spiel nicht im TV sehen, wollte es sich nicht einmal im Radio anhören. Er wollte sehen, was Woody trieb, wollte ihn beobachten, als könnte er dadurch verhindern, dass das, was passiert war, wieder passierte. Und wieder und wieder.
Seine Frau war zur Arbeit gefahren, und Woody hatte vierzig Minuten gewartet, bevor er ins Auto stieg und losfuhr. Er war die übliche Strecke nach Atlanta gefahren, aber diesmal in die Grady Homes eingebogen. John war ihm gefolgt, so angespannt, dass er manchmal vergaß, Abstand zu halten, und schon glaubte, dass Woody ihn gesehen, ihn ertappt hatte.
Ein Weißer, der in einem dunkelblauen Ford Fairlane an einem späten Sonntagnachmittag durch die Sozialsiedlung fuhr, war einfach zu auffällig, aber John blieb trotzdem an ihm dran. Als Woody an einer Reihe Nutten anhielt, fuhr John an ihm vorbei, weil er es für vernünftiger hielt, seinen Cousin im Rückspiegel zu beobachten. Doch nichts
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