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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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konnte, wenn er die leeren Blicke dieser Mädchen sah, war Joyce und wie unsicher und verletzlich sie in diesem Alter gewesen war. Er steckte die Magazine wieder unter den Einsatz und wünschte sich, er hätte sie nicht angeschaut.
    Woodys Schlafzimmer kam als Nächstes dran, ein großer Raum mit einem riesigen Bett, in dem das Arschloch wahrscheinlich jede Nacht seine Frau vögelte. Auch das Bad war enorm, größer als Johns Zimmer in der Absteige. Sogar das Zimmer des Jungen war groß, mit einem Rennwagen als Bett und Unmengen von Spielzeug, die aus der Kommode unter dem Fenster quollen. John fühlte sich in dem Kinderzimmer unwohl. Bald würde das kleine Bett durch ein größeres ersetzt werden. Der Junge wuchs heran, würde bald mehr Privatsphäre verlangen, in der Schule ein Mädchen kennenlernen, mit ihm auf den Abschlussball gehen. Es war einfach zu deprimierend hier in diesem Kinderzimmer.
    Er kehrte noch einmal ins Elternschlafzimmer zurück, weil er davon überzeugt war, etwas übersehen zu haben. Er versuchte zu denken wie seine Bewährungshelferin, Ms. Lam, wenn sie nach Konterbande suchte. Er schaute unter der Matratze nach, tastete die Kissen nach irgendetwas Hartem ab. Er durchsuchte die Schuhe im Schrank und die Hemden in der Kommode.
    Hemden. Nur Designerware. Weiche Baumwolle und Seide. Woodys Unterwäsche stammte von Calvin Klein, seine Pyjamas kamen von Nautica.
    »O Mann«, flüsterte John, und sein Hass auf Woody wurde so groß, dass er kaum atmen konnte. »Denk nach«, sagte er, als würde das Aussprechen es in die Tat umsetzen. »Denk nach.«
    Auf der Kommode standen zwei Flaschen Männerparfüm. John interessierte sich nicht für die Marken, sondern für das, was davor lag: ein großes Klappmesser. Woody besaß dieses Messer schon, als sie noch Teenager waren.
    Er hatte gesagt, er brauche es, weil er sich bei seinen Drogengeschäften mit einigen hinterhältigen Arschlöchern herumschlagen müsse. John hatte ihm geglaubt und sich vorgestellt, wie sein Cousin bei riskanten Deals seine gefährlichen Geschäftspartner mit der scharfen, gezackten Klinge in Schach hielt.
    Woody trug immer ein Messer bei sich. Wie hatte er das nur vergessen können?
    »Wer sind Sie?«
    John wirbelte herum und sah entsetzt, dass die Nachbarin in der Tür stand. Sie trug ein seidig weißes Nachthemd und einen dünnen Morgenmantel. Die Sachen hingen an ihrem Kinderkörper wie ein nasser Sack an einer Heugabel. Ihre Stimme war die eines kleinen Mädchens, hoch, beinahe piepsig.
    »Was tun Sie hier?«, fragte sie aggressiv, aber es war nicht zu übersehen, dass sie Angst hatte.
    »Das könnte ich dich auch fragen«, antwortete er und versuchte so respekteinflößend zu klingen, wie Erwachsene es tun, wenn sie mit Kindern reden. Dabei schloss sich seine Hand um das Messer.
    »Das ist nicht Ihr Haus.«
    »Deins aber auch nicht«, entgegnete John. »Du wohnst nebenan.« »Woher wissen Sie das?« »Woody hat es mir erzählt.«
    Sie schaute seine Hände an, die Gummihandschuhe, das Messer. »Wer ist Woody?«
    Die Frage brachte ihn kurz aus der Fassung, und anscheinend hatte sie sein Zögern gespürt, denn sie drehte sich um und rannte den Gang entlang.
    »Hey!«, rief John und verfolgte sie durch das Wohnzimmer und die Küche. »Warte doch«, schrie er, aber sie war bereits durch die offene Tür in den Garten geflohen.
    Während sie auf den Zaun zulief, riskierte sie einen kurzen Blick über die Schulter. Er wurde sich bewusst, dass er Woodys Messer noch immer in der Hand hielt, erkannte, wie das auf sie gewirkt haben musste, und blieb stehen. Sie zögerte kurz, aber ihr Körper bewegte sich weiter.
    Wie in Zeitlupe sah er sie fallen, als ihr nackter Fuß sich in dem kaputten Zaun verfing. Ihr Kopf knallte auf den Boden. John wartete. Sie stand nicht auf. Er wartete weiter. Sie rührte sich noch immer nicht.
    Langsam trat er nun in den Garten, spürte das weiche Gras unter seinen Füßen. Er erinnerte sich, wie es sich angefühlt hatte, als er das Coastal verließ und zum ersten Mal seit zwanzig Jahren auf Gras ging. Seine Füße waren
    gewöhnt an harten Beton und an roten Georgia-Lehm, der von Tausenden von Füßen, die jeden Tag darübertrampelten, festgetreten war wie gebrannter Ziegel. Das Gras auf dem Friedhof hatte sich so weich angefühlt, als würde er auf Wolken gehen, während er dem Sarg seiner Mutter zu ihrem Grab folgte.
    Zwanzig Jahre, und er hatte vergessen, wie Gras sich anfühlte. Zwanzig Jahre der

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