Will Trent 01 - Verstummt
Rücken, auf dem er die ganze Nacht neben Mary Alice gelegen hatte.
John rannte los, das Herz klopfte ihm bis zum Hals.
Er musste weg von hier.
Er musste nach Hause.
Decatur City Observer 18. JUNI 1995
DER FINNEY-MORD: ZEHN JAHRE DANACH
Zehn Jahre sind vergangen, seit die fünfzehnjährige Mary Alice Finney vergewaltigt und ermordet in ihrem Elternhaus in Decatur aufgefunden wurde, und doch ist das Verbrechen, das die kleine Vorstadt von Atlanta erschütterte, für die langjährigen Anwohner noch immer sehr präsent. »Das hat alles verändert«, sagt Elizabeth Reed, deren Sohn zum Zeitpunkt des Verbrechens der Freund von Finney war. »Zuvor waren wir eine offene Gemeinschaft, doch danach verriegelten wir abends unsere Haustüren.«
Die Polizei stand zunächst vor einem Rätsel angesichts des Mordes an diesem jungen Mädchen, Cheergirl und Klassensprecherin an der Decatur Highschool. »Sie war ein ganz normales Mädchen, das ein ganz normales Leben führte«, sagte Reed. Das alles änderte sich am 16. Juni 1985, als die Nachbarn von den Schreien einer Frau geweckt wurden. Sally Finney wollte ihre Tochter für den Kirchgang wecken und fand stattdessen ein Blutbad vor.
»Die Spurensicherung gestaltete sich sehr schwierig«, gibt der pensionierte Polizeichef Harold Waller zu. »Überall war Blut. So etwas hatten wir noch nie gesehen. Wir dachten, wir hätten das Werk eines Psychopathen vor uns... Und natürlich war genau das der Fall.
Vom Gericht bestellte Psychiater bestätigten Wallers Einschätzung und gaben an, dass die drogeninduzierte Raserei des Jungen auf eine darunterliegende Psychose verweise.
Obwohl der Killer nur »gelegentlichen« Drogenkonsum einräumte, berichteten Freunde von einer viel dunkleren Seite. Der Trainer Vic McCollough, der vor Gericht über Shelleys Gewaltneigung auf dem Spielfeld aussagte, berichtete, dass er ihn letztendlich aus dem Team habe ausschließen müssen. Ein Freund, der seinen Namen nicht genannt wissen möchte, sagte,
Shelley hätte zu der Zeit eine Fixierung auf Mary Alice Finney entwickelt und allem Anschein nach einen »brennenden Hass« auf die Einserschülerin gehabt. Zusätzlich zu den Spuren einer brutalen Vergewaltigung zeigte die Leiche auch mehrere tiefe Bissspuren an den Brüsten und den Oberschenkeln. Darüber hinaus besudelte der Killer die Leiche des jungen Mädchens, indem er auf sie urinierte. Doch das war noch nicht die bestürzendste Entdeckung. Während des Prozesses enthüllte Waller, dass die Zunge des Mädchens mit einem gezackten Messer herausgeschnitten worden war.
Nur wenige in der Nachbarschaft waren überrascht, als der ortsansässige Junge Jonathan Shelley wegen des Verbrechens verhaftet wurde. Nach Polizeiangaben war der Fünfzehnjährige wegen Drogenmissbrauchs und Ladendiebstahl aktenkundig. Rektor Don Binder gab während des Prozesses an, Shelley sei ein auf dem Campus bekannter Drogendealer mit einem »ernsten Problem« gewesen. Am Tatort wurde ein Beutel mit einer Mischung aus Kokain und Heroin gefunden, auf den Straßen als »Speedball« bekannt. Shelleys blutige Fingerabdrücke wurden auf dem Beutel gefunden wie auch an diversen Schlüsselstellen im Zimmer des Mädchens. »Wir hatten keinen Mangel an Beweisen«, sagt Waller. »Seine blutigen Abdrücke waren überall.« Die Verteidigung wies im Verlauf des Verfahrens darauf hin, dass am Tatort auch mehrere andere unidentifizierte Fingerabdrücke gefunden wurden, konnte aber keine Erklärung liefern für das belastendste Indiz: das fünfzehn Zentimeter lange, gezackte Küchenmesser, das später im Schrank im Zimmer des Jungen gefunden wurde. Das Messer, das aus einem Set in der Küche der Shelleys stammte, war zwar gründlich gereinigt worden, trotzdem konnten am Holzgriff noch Spuren von menschlichem Blut festgestellt werden. Emily Shelley, die Mutter des Jungen, gab während des Prozesses an, dass sie sich mit dem Messer geschnitten habe, und behauptete, das Blut stamme von ihr. Im Kreuzverhör konnte sie nicht erklären, wie oder warum das Messer in den Kleiderschrank im Zimmer ihres Sohnes gelangt sei. »Ich habe nie auch nur einen Augenblick geglaubt, dass John Shelley unschuldig ist«, sagt Staatssenator Paul Finney (R-Fulton). »Es war seine Entscheidung, sich das Hirn mit Drogen zu vernebeln, und meine Tochter musste den Preis für seine Raserei bezahlen.« Sally Finney hat vor der Presse nie etwas über den Tod von Mary Alice, ihrem einzigen Kind, verlauten lassen. Nachbarn
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