Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
die Wörter mochte und Bücher und Geschichten und alles, was ihn aus seiner Umgebung riss, liebte. In einem der seltenen Augenblicke der Offenheit hatte er ihr einmal erzählt, dass sich in einer Bibliothek zu befinden für ihn so sei, wie an einem mit all seinen Lieblingsspeisen gedeckten Tisch zu sitzen und sie nicht essen zu können. Und dass er sich dafür hasste.
    Auch jetzt konnte er noch nicht akzeptieren, dass seine Legasthenie etwas anderes war als sein persönliches Versagen. Egal, wie sehr Angie ihn bedrängte oder sogar anflehte, er wollte keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Als sie ihn kennenlernte, wandte Will bereits alle möglichen Tricks an, um sein Problem zu verschleiern, und Angie bezweifelte, dass seine Lehrer je auf den Gedanken kamen, er könne etwas anderes als langsam von Begriff sein. In seiner jetzigen Arbeit war es nicht anders. Er benutzte farbige Aktendeckel, um die Fälle optisch unterscheiden, und verschiedene Papierarten, um sie anhand der Oberflächenbeschaffenheit finden zu können.
    In der Schule war Angie diejenige gewesen, die seine Aufsätze schrieb und Diktate über Themen, die sie überhaupt nicht interessierten, über sich ergehen ließ. Sie war diejenige, die Nacht für Nacht das Geräusch seines Kassettenrecorders hören musste, wenn er Hörbüchern lauschte und ganze Passagen auswendig lernte, damit er am nächsten Tag in der Stunde etwas beitragen konnte. Bis zum Abschluss hatte er zehnmal so hart gearbeitet wie jeder andere und schaffte die Prüfung dennoch nur mit Ach und Krach. Und dann ging er aufs College.
    Angie hatte nie verstanden, warum ihm das alles so wichtig war. Mit seiner Größe und seinem guten Aussehen hätte Will genau zu dem Typ von Herzensbrecher werden können, mit dem Angie immer durchbrannte. Stattdessen war er still, schüchtern, die Sorte Mann, die sich in das erstbeste Mädchen verliebte, das sich von ihm vögeln ließ. Wobei Will nicht in Angie
    verliebt war. Natürlich liebte er sie, aber verliebt zu sein und jemanden zu lieben, waren zwei Paar Stiefel. Er wollte sie wegen ihrer Vertrautheit, genau so, wie er immer in dieselben Restaurants gehen und die gleichen Lebensmittel kaufen wollte. Sie war eine bekannte Größe, ein sicherer Tipp. Ihre Beziehung war eher die eines überfürsorglichen Geschwisterpaars, das zufällig auch Sex miteinander hatte.
    Wobei Sex nie einfach zwischen ihnen war. Will hatte nun wirklich die Ausstattung dafür, aber es war ein Riesenunterschied, ob man wusste, wie man einen Hammer halten muss und ob man damit auch bei jedem Schlag den Nagel auf den Kopf traf. Im Lauf der Jahre hatten sie sich von diesem ersten, linkischen Mal in der Kammer des Hausmeisters im Obergeschoss des Kinderheims eher zurückentwickelt, so dass es, wenn sie Sex hatten, eher war wie zwischen zwei unbeholfenen Kindern, die es heimlich hinter dem Rücken ihrer Eltern taten, als zwischen zwei Erwachsenen. Sie hatten immer das Licht aus und fast alle Kleider an, als wäre Sex etwas, wofür man sich schämen müsste. Der dreiteilige Anzug, den Will an diesem Abend trug, hätte sie nicht überraschen dürfen. Je mehr Kleidungsstücke er anhatte, umso glücklicher war Will.
    Das war eine Art kosmischer Witz, denn Angie wusste, dass sich unter seinen Kleidern ein wunderbarer Körper verbarg. Sie spürte seine Rückenmuskeln, wenn er sich anspannte, die Wölbung seines Pos in ihren Händen, seine starken Waden an ihren Fußsohlen, wenn sie sich ihm entgegenstemmte.
    Ja, er schämte sich seines Körpers, als sagten seine Narben etwas Schlechtes über ihn aus und nicht über die Menschen, die sie verursacht hatten. In den letzten zwölf Jahren hatte sie ihn kein einziges Mal völlig nackt gesehen. Und genau darum war es in ihrem letzten Streit gegangen. Sie waren, wie an diesem Abend, in seiner Küche gewesen. Will lehnte an der Anrichte, und Angie saß am Tisch und schrie ihn an.
    »Ist dir eigentlich bewusst«, schimpfte sie, »dass ich keine Ahnung habe, wie du aussiehst?«
    Er spielte den Verwirrten. »Du siehst mich doch jeden Tag.«
    Angie schlug mit der Faust auf den Tisch, und Will zuckte zusammen. Will hasste laute Geräusche, nahm sie als Signal, dass man ihm gleich wehtun würde, obwohl er über genügend Kraft verfügte, um sich zu verteidigen.
    Das Ticken der Uhr im Wohnzimmer war deutlich zu hören im darauffolgenden Schweigen. Schließlich nickte er und sagte: »Okay.« Dann
    knöpfte er sein Hemd auf. Er trug natürlich ein

Weitere Kostenlose Bücher