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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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hatte ständig auf ihn eingeredet, ihm gesagt, dass er sich deswegen nicht schämen müsse. Er schämte sich nicht. Er wollte ganz einfach nicht noch etwas haben, das ihn von allen anderen unterschied. Und auf keinen Fall wollte er Amanda noch mehr Munition liefern. Seitdem sie sich kannten, versuchte sie, hinter seine Fassade zu schauen, und würde er diese spezielle Information preisgeben, wäre das so, als würde er einem hungrigen Wolf die Kehle darbieten.
    Er schaute aus dem Fenster, sah Vögel im Wind dahinsegeln. Amanda hatte im Marietta Building gearbeitet, als Will zu den Methamphetaminfreaks in die Berge geschickte wurde. Vor über einem Jahr war sie in die City Hall East umgezogen, und ihr Eckbüro gewährte ihr einen Blick über Atlanta. Es lag direkt neben dem Aufzug, so dass sie ihre Nase in alles stecken konnte, was in dem Gebäude so vor sich ging. Caroline saß im Vorzimmer, aber Amanda
    schloss die Tür zwischen den beiden Büros nie. Jetzt im Augenblick konnte er die Sekretärin am Computer tippen hören. Wenn sie auch nur einen Hauch von Selbstachtung besaß, dann arbeitete sie an ihrem Lebenslauf.
    »Hallo, Will.« Amanda hatte sich angeschlichen, während er zum Fenster hinausstarrte. Im Vorbeigehen drückte sie ihm die Hand auf die Schulter.
    »Dr. Wagner.«
    Sie nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz und sagte auf die gleiche automatische und bedeutungsleere Art, wie die Leute »Entschuldigung« sagen, wenn sie mit einem zusammenstoßen. »Tut mir leid wegen der Verspätung.«
    Er sah zu, wie sie ihre Telefonnachrichten überflog und ihm dabei ihre sorgfältig frisierte Salz-und-Pfeffer-Haarkrone darbot. Amanda war vermutlich Mitte fünfzig, eine kleine Frau, eins sechzig, wenn's hochkam. Ihre Präsenz jedoch füllte jeden Raum aus, und sie stolzierte auf eine Art, die jeden Stierkämpfer neidisch gemacht hätte. Am linken Ringfinger trug sie einen schlichten Diamantring. Will wusste allerdings, dass sie gegenwärtig nicht verheiratet war. Sie hatte keine Kinder, oder vielleicht hatte sie sie gefressen, als sie noch sehr klein waren. Amanda war extrem verschwiegen, was ihr Privatleben anging -ein Luxus, den sie anderen nicht zugestand. Will stellte sie sich außerhalb der Arbeit so vor, wie er sich als Kind seine Lehrer vorgestellt hatte: dass sie abends in ihre Höhlen unter dem Schulgebäude krochen und sich beim Einschlafen ausmalten, wie sie am nächsten Tag ihre Schüler quälen würden. Will stellte sich auch vor, wie Amanda sich jeden Morgen für die Arbeit fertig macht: dass sie sich die Brust rasierte, ihren Schwanz zwischen die Beine klemmte und ihre gespaltenen Hufe in ihre zierlichen Pumps zwängte.
    »Ich nehme an, ich muss Sie jetzt Dr. Trent nennen?«, sagte sie, ohne von ihren Nachrichten aufzusehen.
    Während seines Exils in den Bergen war Will nicht untätig geblieben, wusste er doch mit ziemlicher Sicherheit, dass Amanda ihn irgendwann aus dem Büro in Exworth wieder abziehen und unter ihre Fittiche nehmen würde. Die Fernuniversität in Florida hatte ihn die Arbeit online und in seinem eigenen Tempo machen lassen, und der Staat erkannte seinen Abschluss in Kriminologie trotz der zweifelhaften Herkunft an.
    Er verriet ihr die Wahrheit. »Ich habe nur versucht, in eine Gehaltsklasse zu kommen, die Ihr Budget übersteigt.«
    »Was Sie nicht sagen«, meinte sie, zog einen goldenen Füller heraus und schrieb etwas auf eine der Nachrichten.
    Will blickte auf die Narbe an seiner Hand, wo Amanda ihn mit einer Nagelpistole getroffen hatte. Dann sagt er: »Schöner Füller.«
    Sie hob eine Augenbraue und lehnte sich zurück. Eine ganze Weile verging, bevor sie ihn fragte: »Wo genau in Florida liegt eigentlich Two Egg?«
    Er verkniff sich ein Lächeln. Er hatte sich die Uni vorwiegend wegen des lächerlichen Ortsnamens ausgesucht. »Ich glaube, es liegt in der Nähe des malerischen Withlacoochee River, Ma'am.«
    Anscheinend glaubte sie ihm kein Wort. »Aber natürlich.«
    Will schwieg, ein Hummer, der im Aquarium begutachtet wird.
    Sie steckte die Kappe wieder auf den goldenen Füller und legte ihn parallel zur Schreibunterlage. »Sie nehmen das jetzt aber nicht auf, oder?«
    »Heute nicht, Ma'am.« Will fiel es schwer genug, getippte Dokumente zu lesen, aber seine Handschrift ähnelte eher dem linkischen Gekritzel, das man auf Kindergartenmauern findet. Amanda neigte dazu, lange Aufgabenlisten zu erstellen. Die einzige Möglichkeit, sich das alles zu merken, bestand für Will darin,

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