Will Trent 02 - Entsetzen
verhaftet worden war.«
»Und ich dachte, das öffentliche Universitätssystem ist kompliziert.«
»Warum erzählen Sie mir nicht davon?«, fragte sie. »Glauben Sie mir, Büropolitik ist sehr viel interessanter als polizeiliche Vorgehensweise.«
Er legte den Arm über die Rückenlehne ihres Barhockers. Durch ihre dünne Baumwollbluse konnte sie die Hitze seines Körpers spüren. »Machen Sie mir das Vergnügen«, sagte er, zumindest war es das, was Faith zu hören glaubte. Ihre Ohren waren zugeschnappt, kaum dass er sie berührt hatte - vielleicht waren es die Engel, die Harfe spielten, oder ein explodierendes Feuerwerk. Vielleicht war ihr Drink zu stark oder ihr Herz zu einsam. Sie musste sich zwingen, sich vorzubeugen und einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas zu nehmen.
Victor strich ihr mit dem Daumen über den Rücken, entweder eine spielerische, flirtende Geste oder eine sanfte Aufforderung zum Weiterreden. »Was würde eine Verhaftung bedeuten?«
Sie atmete einmal tief durch, bevor sie aufzählte: »Ihm Handschellen anzulegen, ihn aufs Revier zu bringen, Fingerabdrücke und Fotos zu machen, ihm den Gürtel, die Schuhbänder und die persönliche Habe abzunehmen, ihn zusammen mit dem Abschaum der Gesellschaft in eine Zelle zu stecken.« Sie stützte das Kinn auf die Hand und stellte sich Gabe Cohen in einer Zelle zusammen mit Säufern und Drogendealern vor. »So spät am Tag würde er wahrscheinlich die Nacht im Gefängnis verbringen und am nächsten Morgen ins Gericht gebracht werden, wo er drei oder vier Stunden auf seine Kautionsanhörung warten würde, dann würde er auf die Prozedur seiner Freilassung warten müssen, und schließlich würde er auf seinen Prozess warten müssen.« Faith nahm noch einen kräftigen Schluck von ihrem Drink und lehnte sich zurück. »Und von da an würde er jedes Mal, wenn er einen Strafzettel bekommt oder ein Arbeitgeber einen Hintergrundcheck über ihn anstellt oder in seiner Nachbarschaft ein Verbrechen passiert und sein Name auftaucht, einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden, die jeden Proktologen zum Erröten bringen würde.«
Wieder brachte Victor seinen Daumen zum Einsatz, und wieder wusste sie nicht, ob es nur eine allgemeine Ermutigung war oder eine intimere Geste. »Sie haben ihm heute einen Gefallen getan.«
»Ich weiß es nicht«, gab sie zu. »Es sieht so aus, als hätte ich ihn einfach bei Ihnen abgeladen.«
»Ich bin froh, dass Sie es getan haben. Wir hatten letztes Jahr eine Studentin, die sich eine Überdosis Oxycodon verpasst hatte. Sie wohnte nicht auf dem Campus. Es dauerte eine ganze Weile, bis jemand sie fand.«
Faith konnte sich sehr gut vorstellen, wie die Szene ausgesehen hatte. »Meiner Erfahrung nach tun diejenigen, die davon reden, es normalerweise nicht. Die Stillen, diejenigen, die sich verschließen, sind diejenigen, über die man sich Sorgen machen muss.«
»Gabe war nicht gerade still.«
»Nein, aber vielleicht war er auf dem Weg dazu.« Sie trank noch einen Schluck, damit ihre Hände nicht herumspielten. »Man kann nie wissen.«
Victor berichtete ihr: »Sein Vater hat ihn in ein Privatkrankenhaus gebracht.«
»Gut.«
Er lockerte seine Krawatte noch ein wenig mehr. »Was ist heute sonst noch passiert? Wie läuft der Fall?«
»Ich habe das Gespräch bereits zu sehr dominiert«, sagte sie, und die Erkenntnis machte sie ein wenig verlegen. »Erzählen Sie mir von Ihrem Tag?«
»Meine Tage sind langweilig, glauben Sie mir. Ich schlichte Streitereien zwischen Studenten, stemple Anträge von Jungs ab, die in ihren Zimmern Hochbetten bauen wollen, sitze in endlosen Besprechungen, und wenn ich Glück habe, darf ich mich mit verzogenen, kleinen Idioten wie Tommy Albertson herumschlagen.«
»Wie faszinierend. Erzählen Sie mir mehr.«
Er lächelte über ihren Spott, stellte ihr aber eine ernste Frage. »Glauben Sie, Sie schaffen es, dieses Mädchen zu finden?«
»Ich glaube, dass ...« Sie spürte die Dunkelheit zurückkommen, den immer stärkeren Sog des Abgrunds. »Ich glaube, ich mag mich auch lieber, wenn ich meine Marke nicht trage.«
»Gut so«, sagte er. »Erzählen Sie mir von Jeremy.«
Faith fragte sich, ob es wirklich das war, worum es bei diesem Rendezvous ging. »Wir sind nichts als eine Zahl in einer Statistik der Reagan-Ara.«
»Das klingt nach einer Standardantwort.«
»Ist es auch«, gab sie zu. Was damals passiert war, war nicht wirklich zu beschreiben. Innerhalb eines Monats war aus dem Mädchen, das vor
Weitere Kostenlose Bücher