Will Trent 02 - Entsetzen
waren schon fast beim letzten Test, als Will sagte: »Das da sieht so aus.«
Faith schaute sich das noch in Plastik verpackte Teststäbchen in seiner Hand an und verglich es mit dem auf seinem Schreibtisch. »Ja«, stimmte sie ihm zu.
Er faltete die Bedienungsanleitung aus der Packung auf und überflog sie, um den richtigen Absatz zu finden. Kurz warf er Faith einen nervösen Blick zu und starrte dann wieder auf die Anleitung.
»Lassen Sie mich«, sagte sie schließlich und erlöste ihn aus seinem Elend. Auf der Rückseite fand sie eine Skizze. »Eine Linie«, sagte sie. »Das bedeutet, dass der Test negativ ist.«
Er lehnte sich zurück und umklammerte die Armlehnen. Sie konnte nicht sagen, ob er erleichtert oder enttäuscht war. »Vielen Dank, dass Sie mir dabei geholfen haben.«
Faith nickte und steckte die Anleitung wieder in die Schachtel.
»Rechtschreibprüfung.«
»Was?«
»Gestern sagte Bernard, dass Computerprogramme es Legasthenikern einfacher machen, ihr Problem zu verbergen.« Er zuckte die Achseln. »Da wäre es naheliegend, dass jemand, der ein funktioneller Analphabet ist, ebenso den Computer benützt.«
Faith schloss die Augen und rief sich die Drohbriefe wieder in Erinnerung. »Schon komisch, ja. Die Wörter waren zwar wüst getrennt oder zusammengezogen, aber fast alle waren korrekt geschrieben. Und das >las< für >lass< im dritten Brief könnte ein Rechtschreibprogramm als Vergangenheitsform von >lesen< interpretieren.«
Will wirkte plötzlich völlig abwesend. Er schien gar nicht so recht gehört zu haben, was sie eben gesagt hatte.
Das Telefon klingelte. Er reagierte nicht darauf.
Faith hatte ihn schon öfter merkwürdig reagieren sehen, aber das schoss den Vogel ab. Das Telefon klingelte noch einmal. »Soll ich drangehen?«
Er streckte die Hand aus und drückte den Lautsprechknopf. »Will Trent.«
»Hier ist Becky vom Labor«, sagte eine Frau mit einem deutlichen Yankee-Akzent. »Gordon Chew ist hier.«
Will schaltete seinen Computer aus, stand auf und strich sich sein Sakko glatt. »Gehen wir.«
Das Forensiklabor nahm den gesamten zweiten Stock der City Hall East ein. Im Gegensatz zum Rest des Gebäudes, das mit Mäusen und Asbest verseucht war, war das Labor sauber und hell erleuchtet. Die Klimaanlage funktionierte tatsächlich. Auf dem Boden gab es keine gesprungenen Fliesen, und von den Schreibtischen standen keine schartigen Metallteile ab. Alles war entweder weiß oder aus Edelstahl. Faith würde ihre Waffe verspeisen, wenn sie tagaus, tagein hier arbeiten müsste. Sogar die Fenster waren sauber, es fehlte die Schmuddelschicht, die die übrigen Scheiben im Gebäude bedeckte.
Mindestens zwei Dutzend Menschen liefen in dem Saal hin und her, alle in weißen Mänteln, und die meisten trugen Schutzbrillen und Gummihandschuhe, während sie Beweisstücke untersuchten oder an ihren Computern arbeiteten.
Musik lief, irgendwas Klassisches, das Faith nicht kannte. Ansonsten gab es, abgesehen vom Summen der Elektronik, keine anderen Geräusche. Sie nahm an, dass Blutuntersuchungen und das Durchkämmen von Teppichfasern keine Gespräche erforderten.
»Hier rüber«, rief ein schlanker Asiate quer durch den Saal. Er saß auf einem Hocker an einem der Labortische. Vor ihm standen mehrere Schalen, und ein großer, schwarzer Aktenkoffer, den Faith sonst nur bei Anwälten sah, stand neben seinen Füßen auf dem Boden. Faith fragte sich, ob er den weißen Mantel, den er trug, mitgebracht hatte, oder ob er ihn sich ausgeliehen hatte.
»Gordon«, sagte Will und stellte Faith vor.
Er streckte ihr die Hand entgegen. »Sehr erfreut, Ma'am.«
»Ebenfalls«, sagte Faith und dachte, dass sie seit dem Tod ihrer Großmutter keinen so angenehmen, weichen Tonfall gehört hatte. Gordon war vermutlich nur ein paar Jahre älter als sie, aber er hatte das Auftreten eines viel älteren Mannes.
Will deutete auf die Briefe auf dem Tisch. Gordon hatte sie aus ihren Plastiktüten gezogen. »Was denken Sie?«
»Ich denke, es ist gut, dass Sie mich angerufen haben. Das Papier ist in einem furchtbaren Zustand. Mit Jod-Bedampfung will ich es gar nicht erst versuchen.«
»Was ist mit Diazafluoren?«
»Ich habe sie schon unter die Lampe gehalten. Das reinste Chaos, Mann.«
»Gibt's irgendwas Spezielles über die Marke oder das Wasserzeichen oder ...«
»Das Papier ist ein absolutes Allerweltsprodukt.«
Faith sah ein, dass sie sich nur selbst bestrafte, wenn sie ihre Unwissenheit versteckte. »Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher