Will Trent 02 - Entsetzen
sich in dem Zimmer um. Sie wusste nicht, ob man wollte, dass sie hier wartete oder selbst die Küche suchte. Die Clarks hatten sich für das Wohnzimmer einen postuniversitären, eklektizistischen Stil ausgesucht und Brandneues mit Altem gemischt. Eine schäbige Couch stand vor einem antiken Fernseher. Der Ledersessel war schick und modern, aber feine Kratzer an den Beinen deuteten auf den kürzlichen Besuch einer Katze hin. Auch hier lag überall Spielzeug herum. Es sah ein wenig so aus, als hätte hier eine Bombe eingeschlagen.
Ein schneller Blick durch eine Tür, die offensichtlich ins Elternschlafzimmer führte, zeigte noch mehr Spielzeug. Obwohl Faith zu der Zeit erst fünfzehn Jahre alt war, hatte sie doch gewusst, dass sie Jeremy nicht in jedes Zimmer des Hauses lassen durfte. Es war kein Wunder, dass manche Eltern so erschöpft aussahen, wenn sie in ihren Häusern keinen Platz hatten, der allein ihnen gehörte.
»Hallo?«, rief Mary.
Faith folgte der Stimme. Sie ging einen langen Gang entlang, der in den hinteren Teil des Hauses führte. Mary Clark stand am Spülbecken, mit dem Rücken zum Fenster. Sie hatte einen Becher mit Kaffee in der Hand. Ihre rötlichblonden Haare hingen ihr offen auf die Schultern. Sie trug Jeans und ein großes, schlecht sitzendes T-Shirt, das offensichtlich ihrem Mann gehörte. Ihr Gesicht war fleckig, die Augen gerötet.
Faith sagte: »Wollen Sie darüber reden?«
»Habe ich eine andere Wahl?«
Faith setzte sich an den Tisch, ein Metallgestell mit Laminatplatte aus den Fünfzigern und dazu passenden Stühlen. Die Küche war gemütlich, aber alles andere als modern. Das Spülbecken war auf einen pastellgrün lackierten Unterschrank montiert. Alle Schränke waren noch aus dem ursprünglichen Metall. Es gab keinen Geschirrspülautomaten, und der Herd stand schief. Bleistiftspuren links und rechts auf dem Türrahmen zelebrierten jeden Wachstumsschub von Marys Zwillingen.
Mary kippte ihren Kaffee ins Becken und stellte die Tasse auf die Anrichte. »Tim meinte, ich soll mich aus der Sache raushalten.«
Faith wiederholte nun die Frage, die eben noch Mary gestellt hatte. »Haben Sie eine andere Wahl?«
Einen Augenblick lang starrten sich die beiden nur an. Faith wusste, wie sich Menschen verhielten, die etwas zu verbergen hatten, ebenso wie sie Hinweise erkennen konnte, dass sie reden wollten. Mary Clark zeigte keines der bekannten Merkmale. Wenn Faith raten müsste, würde sie sagen, die Frau schämte sich.
Faith faltete die Hände im Schoß und wartete darauf, dass Mary Clark etwas sagte.
»Ich schätze, ich bin gefeuert?«
»Das müssen Sie McFaden fragen.«
»Inzwischen feuert man Lehrer nicht mehr. Man gibt ihnen einfach die beschissensten Klassen, bis sie von selbst gehen.«
Faith sagte nichts.
»Ich habe gesehen, wie Evan in Handschellen aus der Schule geführt wurde.«
»Er gab zu, mit Kayla Alexander Sex gehabt zu haben.«
»Hat er Emma entführt?«
»Wir konstruieren gerade eine Anklage gegen ihn«, erwiderte Faith. »Details kann ich Ihnen nicht nennen.«
»Vor dreizehn Jahren an der Crim war er mein Lehrer.«
»Das ist ein ziemlich schlimmes Viertel.«
»Ich war ein ziemlich schlimmes Mädchen.« Ihr Sarkasmus war laut und deutlich, aber unter den harten Worten lag Schmerz, und Faith wartete, weil sie dachte, sie fände die Wahrheit am ehesten, wenn sie sich von Mary dorthinführen ließe.
Mary kam langsam zum Tisch und zog einen Stuhl heraus. Mit einem schweren Seufzen setzte sie sich, und Faith roch einen Hauch Alkohol in ihrem Atem. »Evan war der einzige Lichtblick«, sagte Mary zu ihr. »Er war der Grund, warum ich Lehrerin werden wollte.«
Faith überraschte das nicht. Mary Clark war mit ihren hübschen, blonden Haaren und den durchdringenden, blauen Augen genau Evan Bernards Typ. »Wurden Sie von ihm belästigt?«
»Ich war sechzehn. Ich wusste, was ich tat.«
Das wollte ihr Faith so nicht durchgehen lassen. »Wussten Sie das wirklich?«
Tränen traten Mary in die Augen. Sie schaute sich nach einem Taschentuch um, und Faith stand auf, um ein Küchentuch von der Rolle zu reißen.
»Danke«, sagte Mary und schnäuzte sich.
Faith wartete ein paar Sekunden, bevor sie fragte: »Was ist passiert?«
»Er verführte mich«, sagte sie. »Oder vielleicht verführte ich ihn. Ich weiß nicht, wie es passiert ist.«
»Waren Sie in ihn verknallt?«
»O ja.« Sie lachte. »Zuhause war es nicht gerade schön für mich. Mein Vater verschwand, als ich noch
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