Will Trent 02 - Entsetzen
Generalschlüssel hing an seinem Gürtel. Er steckte ihn ins Schloss und riss die Tür zu Warrens Zelle auf. Die Angel quietschte unter dem Gewicht der Tür. Ein Ende des Lakens war um den Türknauf geschlungen, das andere fest um Warrens Hals verknotet.
Will kniete sich hin und fing sofort mit Wiederbelebungsversuchen an. Billy schnappte sich sein Funkgerät, rief Codes, bestellte einen Krankenwagen. Als endlich Hilfe eintraf, schwitzte Will, seine Hände schmerzten, weil er sie Warren immer wieder auf die Brust drückte. »Tu mir das nicht an«, flehte er. »Na komm, Warren. Tu mir das nicht an.«
»Will«, sagte Billy und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie. Es ist vorbei.«
Will wollte sich losreißen, einfach weitermachen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Zum zweiten Mal an diesem Abend setzte er sich auf die Fersen und schaute auf Warren Grier hinunter. Die letzten Worte des jungen Mannes hallten ihm noch in den Ohren. »Farben«, hatte Warren gesagt. Er hatte Wills Ablagesystem durchschaut, wie er Farben benutzte, um zu markieren, was sich in den Mappen befand. »Sie verwenden die Farben so wie ich.« Warren Grier hatte endlich eine verwandte Seele gefunden. Einige Zeit später hatte er sich umgebracht.
Eine zweite Hand legte sich um Wills Arm. Faith half ihm beim Aufstehen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie da war, auch den Kreis aus Polizisten nicht, der sich um ihn gebildet hatte.
»Kommen Sie«, sagte sie und ließ die Hand an seinem Arm, während sie ihn den Gang entlangführte. Es gab Johlen und Pfeifen, die Art von Anzüglichkeiten, die man von Männern hinter Gittern erwartete, wenn eine hübsche Frau vorbeiging. Will ignorierte sie, kämpfte mit sich, um nicht gegen Faith zu sacken und sich in ihren Armen zu verkriechen.
Faith setzte ihn an Billys Schreibtisch. Sie kniete sich vor ihn hin, hob die Hand zu seiner Wange. »Sie konnten doch nicht wissen, dass er so etwas tut.«
Will spürte die Kühle ihrer Handfläche an seinem Gesicht. Er legte seine Hand über ihre und zog sie dann sanft weg. »Ich kann mich nicht gut trösten lassen, Faith.«
Sie nickte verständnisvoll, aber er sah das Mitleid in ihren Augen.
»Ich hätte ihn nicht anlügen dürfen«, sagte er. »Die Sache mit den Zigarettennarben.«
Faith kauerte sich auf die Fersen und schaute zu ihm hoch. Er wusste nicht, ob sie ihm glaubte oder ihm nur einen Gefallen tat. »Sie haben getan, was Sie tun mussten.«
»Ich habe ihn zu sehr bedrängt.«
»Er hat sich das Laken selbst um den Hals gelegt.« Und sie erinnerte ihn: »Und er hat abgedrückt, Will. Sie wären jetzt tot, wenn in diesen Kammern Patronen gewesen wären. Er hat vielleicht mehr Mitleid erregt als Evan Bernard, aber er war genauso kalt und berechnend.«
»Warren hat getan, was seiner Programmierung entsprach. Alles, was er in seinem Leben getan hatte - alles -, war ein Kampf gewesen. Ihm wurde nie etwas geschenkt.« Will spürte, wie sein Unterkiefer sich verkrampfte. »Bernard ist gebildet und wird gemocht, er hat einen guten Job, Freunde, eine Familie. Er hatte die Wahl.«
»Jeder hat die Wahl. Sogar Warren.«
Sie würde das nie verstehen, weil sie noch nie völlig allein auf der Welt gewesen war. Er sagte zu ihr: »Ich weiß, dass Emma noch irgendwo lebt, Faith.«
»Es ist viel Zeit vergangen, Will. Zu viel.«
»Ist mir egal, was Sie sagen«, entgegnete er. »Sie lebt. Warren hätte sie nie umgebracht. Er wollte etwas von ihr, Dinge, die er sich nehmen wollte. Sie haben doch gehört, wie er im Verhör geredet hat. Sie wissen, dass er sie am Leben hielt.«
Faith antwortete nicht, doch er konnte die Antwort in ihren Augen sehen: Sie war ebenso sicher, dass Emma tot war, wie Will sicher war, dass das Mädchen lebte.
Anstatt mit ihm zu diskutieren, wechselte sie das Thema. »Ich habe eben mit Mary Clark gesprochen.« Sie berichtete ihm kurz von ihrer Entdeckung der Jahrbücher auf den Fotos, die Will gemacht hatte, von dem Anruf bei Mary Clark und ihrer Bestätigung, dass Warren damals Bernard ein Alibi gegeben hatte. Während Faith sprach, entstand für Will endlich ein klares Bild. Bernard war offensichtlich der einzige Anker in Warrens Leben. Es gab nichts, was der junge Mann nicht für seinen Mentor getan hätte.
Faith erzählte ihm, was Mary Clark sonst noch gesagt hatte. »Bernard ließ sie in sein Haus kommen, um zu trinken, zu rauchen und zu tun, was immer sie wollten. Und wenn er dann mit ihnen fertig war, warf er sie
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