Will Trent 02 - Entsetzen
Mitgefühls gemeint. Er wollte, dass sie mit Abigail Campano von Mutter zu Mutter sprach und so aus ihr herausbrachte, was hier eigentlich passiert war.
Der Mini schwankte, als ein Bus vorbeirumpelte. Sie standen in einer langen Schlange und warteten darauf, rechts abbiegen zu können, als sie bemerkte, dass Will an seiner Hand schnupperte. Faith starrte zum Fenster hinaus, als wäre das ein ganz normales menschliches Verhalten.
Er streckte ihr seinen Ärmel hin. »Riecht der für Sie nach Urin?«
Sie atmete ein, ohne nachzudenken, so wie man sauere Milch riecht, wenn jemand sie einem unter die Nase hält. »Ja.«
Er stieß sich den Kopf am Dach an, als er sich aufrichtete, um sein Handy aus der Sakkotasche zu holen. Er wählte eine Nummer, wartete ein paar Sekunden und sagte dann zu der Person am anderen Ende der Leitung: »Ich glaube, hinten in Emmas Wandschrank ist Urin. Ich dachte erst, es kommt von dem Hundekorb, aber jetzt bin ich mir sicher, dass er frisch war.« Er nickte, als könnte sein Gesprächspartner ihn sehen. »Ich bleibe dran.«
Faith wartete schweigend. Wills Hand ruhte auf dem Knie, die Finger spielten mit der scharfen Bügelfalte seines Hosenbeins. Er war ein durchschnittlich aussehender Mann, wahrscheinlich ein paar Jahre älter als sie, was Mitte dreißig bedeuten würde. Schon am Tatort war ihr eine schwache Narbe an der Oberlippe aufgefallen, offensichtlich eine Verletzung, die in einem leichten Bogen genäht worden war. Jetzt, da das spätnachmittägliche Sonnenlicht durch das Glasdach fiel, erkannte sie eine weitere Narbe, die, vom Ohr ausgehend, parallel zur Drosselvene in gezackter Linie den Hals hinunterlief und im Hemdkragen verschwand. Faith war keine Forensik-Expertin, aber sie würde vermuten, dass jemand ihn mit einem gezahnten Messer angegriffen hatte.
Will hob die Hand zum Gesicht und kratzte sich das Kinn, und Faith schaute schnell wieder auf die Straße.
»Gut«, sagte er ins Handy. »Gibt es eine Möglichkeit, das mit dem Null-negativ von unten am Fuß der Treppe zu vergleichen?« Er hielt inne und hörte zu. »Danke. Ich weiß das sehr zu schätzen.«
Will klappte das Handy zu und steckte es wieder in die Tasche. Faith wartete auf eine Erklärung, aber er schien seine Gedanken lieber für sich behalten zu wollen. Vielleicht betrachtete er sie nur als seine persönliche Fahrerin. Vielleicht brachte er sie zu sehr mit Leo Donnellys Fehler in Verbindung. Sie konnte ihm nicht verübeln, dass er sie mit demselben Pinsel malte. Faith war vor Ort gewesen, war dabeigestanden und hatte mit der Mutter geplaudert, während alle Spuren und Hinweise darauf warteten, zu einem Gesamtbild zusammengefügt zu werden. Sie war Leos Partnerin, nicht seine Untergebene. Alles, was er übersehen hatte, hatte sie auch übersehen.
Dennoch regte sich bei ihr nun die Neugier, und daraus wurde Verärgerung. Sie war Detective des Atlanta Police Department, kein Lakai. Wegen der Stellung ihrer Mutter hatten sich immer Gerüchte um jede ihrer Beförderungen gerankt, aber im Morddezernat hatte man sehr schnell gemerkt, dass sie eine verdammt gute Polizistin war. Faith hatte sich schon vor Jahren abgewöhnt, sich selbst etwas beweisen zu müssen, und jetzt gefiel es ihr nicht, dass man sie außen vor ließ.
Sie versuchte, ihre Stimme so neutral wie möglich zu halten, als sie fragte: »Haben Sie vor, mir zu sagen, worum es eben ging?«
»Oh.« Er schien überrascht, als hätte er vergessen, dass sie da war. »Tut mir leid. Ich bin nicht daran gewöhnt, mit anderen zusammenzuarbeiten.« Er drehte sich zu ihr um, so weit es ging. »Ich glaube, dass Emma sich in dem Wandschrank versteckte. Allem Anschein nach nässte sie sich dort ein. Charlie meinte, das meiste wurde von den Schuhen aufgesaugt, aber ein wenig Urin lief hinten auf dem Boden des Wandschranks zu einer Pfütze zusammen. Anscheinend habe ich den Urin mit meinen Handschuhen transferiert, als ich das Hundekörbchen untersuchte und nicht bemerkte, dass sie nass waren.«
Faith versuchte, seinem Gedankengang zu folgen. »Im Labor wollen sie jetzt versuchen, die DNS im Urin mit dem Blut am Fuß der Treppe zu vergleichen, von dem Sie glauben, dass es von Emma stammt?«
»Wenn Emma ein Sekretor ist, dann können sie im Labor einen Oberflächenabgleich in ungefähr einer Stunde machen.«
Etwa achtzig Prozent der Bevölkerung gehören zur Gruppe der Sekretoren, was bedeutet, dass ihre Blutgruppe auch in Körperflüssigkeiten wie Speichel oder
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