Will Trent 02 - Entsetzen
Sperma feststellbar ist. Wenn Emma Campano zu dieser Gruppe gehörte, dann konnte man durch eine Untersuchung des Urins sehr leicht ihre Blutgruppe feststellen.
Faith sagte: »Man muss es natürlich noch mit der DNS bestätigen, aber es ist ein guter Anfang.«
»Genau.« Er schien auf weitere Fragen zu warten, aber Faith hatte keine mehr. Schließlich drehte er sich auf seinem Sitz wieder um.
Faith ließ die Kupplung kommen, als die Ampel umschaltete. Sie schafften ungefähr zwei Meter, bis die Ampel wieder auf Rot schaltete und der Verkehr stoppte. Sie dachte an Emma Campano, irgendwo als Geisel festgehalten, nach ihrem eigenen Urin stinkend, ihr letztes Bild das ihrer besten Freundin, die abgeschlachtet auf dem Boden lag. Das brachte sie dazu, ihren Sohn anrufen zu wollen, auch wenn es ihn ärgern würde, die besorgte Stimme seiner überfürsorglichen Mutter zu hören.
Will bewegte sich wieder. Sie merkte, dass er versuchte, sein Sakko auszuziehen, sich dabei den Kopf an der Windschutzscheibe anstieß und den Innenspiegel verdrehte.
Sie sagte: »Wir werden noch eine Weile an dieser Ampel stehen. Steigen Sie doch einfach aus und ziehen Sie die Jacke aus.«
Er legte die Hand auf den Türgriff, hielt dann inne und kicherte gekünstelt. »Sie brausen aber nicht gleich davon, oder?«
Faith schaute ihn nur schweigend an. Mit erstaunlich flinken Bewegungen stieg er aus, zog das Sakko aus und setzte sich in dem Augenblick wieder, als die Ampel umsprang.
»Das ist besser«, sagte er und legte das Sakko sorgfältig zusammen.
»Legen Sie es auf den Rücksitz.«
Er tat es, und sie ließ das Auto noch einmal zwei Meter rollen, bevor die Ampel wieder auf Rot schaltete. Sie hatte es noch nie so recht geschafft, jemanden wirklich zu hassen, den sie persönlich vor sich hatte. Sogar bei einigen Kriminellen, die sie verhaftet hatte, musste sie sich eingestehen, dass sie ihre Taten verstand, auch wenn sie sie nicht billigte. Der Mann, der heimgekommen war, seine Frau mit seinem Bruder im Bett ertappt und sie beide umgebracht hatte. Die Frau, die ihren Mann erschossen hatte, weil er sie jahrelang missbraucht hatte. Wenn es ums Ganze ging, waren die Menschen nicht so kompliziert. Jeder hatte einen Grund für das, was er tat, auch wenn dieser Grund manchmal Dummheit hieß.
Dieser Gedankengang brachte sie wieder auf Emma Campano, Kayla Alexander und Adam Humphrey. Standen sie alle in irgendeiner Verbindung zueinander, oder waren sie bis heute Fremde gewesen? Adam war ein Studienanfänger am Georgia Tech. Die Mädchen waren in der Oberstufe einer ultraexklusiven Privatschule in einem etwa zehn Meilen entfernten Nachbarort. Es musste einen Grund geben, warum sie heute alle in diesem Haus gewesen waren. Es musste einen Grund geben, warum Emma verschleppt worden war.
Faith ließ die Kupplung kommen, das Auto rollte an. Auf der Gegenfahrbahn winkte ein Bauarbeiter mit einer Fahne und lenkte den Verkehr auf eine Umleitung. Schweiß lief ihm den Körper hinab, seine orangenfarbene Sicherheitsweste klebte an ihm wie nasses Toilettenpapier. Wie in jeder anderen Großstadt in Amerika stand auch in Atlanta die Infrastruktur kurz vor dem Zusammenbruch. Es sah so aus, als würde nie etwas unternommen, bis es zur Katastrophe kam. Zurzeit konnte man das Haus nicht verlassen, ohne auf einen Bautrupp zu stoßen. In der ganzen Stadt herrschte Chaos.
Gegen ihre vorherige Entscheidung drehte Faith nun doch die Klimaanlage hoch. Allein der Anblick des Bauarbeiters ließ sie die Hitze stärker spüren. Sie versuchte, an kalte Sachen wie Eiscreme und Bier zu denken, während sie ausdruckslos den LKW vor sich anstarrte - die schlammverkrusteten Schmutzfänger, die amerikanische Fahne in der Heckscheibe.
»Ist Ihr Bruder noch immer in Übersee?«
Faith war so überrascht, dass sie nichts anderes sagen konnte als: »Was?«
»Ihr Bruder - er ist doch Chirurg, nicht? Beim Militär?«
Sie fühlte sich in ihrer Privatsphäre verletzt, obwohl Wills Ermittlungen gegen ihre Mutter ihm natürlich die Berechtigung gegeben hatten, sich auch das Leben ihrer Kinder genauer anzuschauen. Er würde wissen, dass Zeke bei der Air Force war und in Brandenburg diente. Er hatte sicher auch Zugang zu ihrer psychologischen Beurteilung gehabt, zu ihren schulischen Unterlagen, zur Geschichte ihrer Ehe und ihres Sohnes - zu allem.
Sie konnte es kaum glauben. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen.«
»Es wäre wohl unaufrichtig von mir, wenn ich so tun würde, als
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