Will Trent 02 - Entsetzen
hinunterging, wehte ihr der Geruch verbrannter Knochen entgegen. Trotz ihrer großen Worte Will gegenüber hasste sie es, in der Leichenhalle zu sein. Die Leichen machten ihr nicht so viel aus wie die Atmosphäre, die industrielle Bearbeitung des Todes. Die kalten Marmorfliesen auf dem Boden und an den Wänden, um Flecken leichter entfernen zu können, die Abflüsse im Boden im Meterabstand, sodass man Blut und Gewebereste wegspritzen konnte, die Rollbahren aus Edelstahl mit ihren großen Gummirädern und Plastikmatratzen.
Der Sommer war die Spitzenzeit für den Medical Examiner, eine besonders brutale Zeit des Jahres. Oft fand man zehn oder zwölf Leichen in der Tiefkühlung. Sie lagen da wie Stücke Fleisch, die darauf warteten, auf der Suche nach Hinweisen geschlachtet zu werden. Allein schon der Gedanke erweckte in ihr eine fast unerträgliche Traurigkeit.
Pete Hanson hielt blutiges, feuchtes Gedärm in den Händen, als Faith eintrat. Er lächelte herzlich und begrüßte sie mit seiner üblichen Floskel. »Die hübscheste Detective im Gebäude!«
Sie zwang sich, nicht zu würgen, als er die Eingeweide auf eine große Waage warf. Obwohl der Obduktionssaal unter der Erde lag, war es hier im Sommer immer entsetzlich warm, denn das Aggregat der Tiefkühlung blies warme Luft schneller in den engen Raum, als die Klimaanlage sie vertreiben konnte.
»Der da war voll wie eine Zecke«, murmelte Pete und schrieb die Gewichtsangabe von der Waage ab.
Faith kannte keinen Leichenbeschauer, der nicht auf die eine oder andere Art exzentrisch war, aber Pete Hanson war besonders irre. Sie verstand, warum er bereits dreimal geschieden war. Das Verwunderlichste war, wie er draußen in der Welt überhaupt drei Frauen hatte finden können, die bereit waren, ihn zu heiraten.
Er winkte sie zu sich. »Ich nehme an, es gibt noch keinen Durchbruch, wenn Sie mich mit Ihrer Anwesenheit beehren?«
»Bis jetzt noch nicht«, antwortete sie und schaute sich im Obduktionssaal um. Snoopy, ein älterer Schwarzer, der Pete schon assistiert hatte, als sie im Morddezernat anfing, dessen wirklichen Namen sie aber noch immer nicht kannte, nickte ihr zu, während er Adam Humphreys Gesicht wieder über den Schädel zog und die Haut in die Vertiefungen drückte. Seine knochigen Finger arbeiteten penibel, und Faith musste daran denken, wie ihre Mutter ihr einmal ein Halloween-Kostüm genäht und die Stoffstücke mit ihren kräftigen Händen auf den Schnittmusterbogen gedrückt hatte.
Faith zwang sich dazu, wegzuschauen, dachte sich, dass sie bei diesem Anblick und dieser Hitze den Raum nie und nimmer ohne einen grässlichen Geschmack im Mund würde verlassen können. »Und was ist bei Ihnen?«
»Ich fürchte, auch kein Glück.« Er zog seine Handschuhe aus und streifte sich ein frisches Paar über. »Snoopy deckt ihn gerade wieder zu, aber auf der rechten Seite von Humphreys Kopf habe ich Spuren eines ziemlich kräftigen Schlags gefunden.«
»Tödlich?«
»Nein, eher ein streifender Schlag. Die Schädelschwarte blieb intakt, aber wahrscheinlich hat er Sternchen gesehen.«
Er ging hinüber zu einem Suppentopf, in dem eine große Schöpfkelle steckte. Sie war beim schlimmsten Teil der Autopsie angekommen. Mageninhalt. Der Gestank war ekelhaft, die Art von Geruch, der sich in die Nasenschleimhäute und den Gaumen fraß, so dass man am nächsten Tag aufwachte und dachte, man hätte einen rauen Hals.
»Schauen Sie hier«, sagte Pete und hielt mit einer langen Pinzette etwas in die Höhe, das aussah wie ein großes Salzkristall. »Das ist offensichtlich ein Knorpel, wie man ihn häufig in Fast-Food-Hamburgern findet.«
»Offensichtlich«, wiederholte Faith.
»Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal zu McDonald's gehen.«
Faith war sich ziemlich sicher, dass sie nie mehr etwas essen würde.
»Ich würde vermuten, der junge Mann hatte mindestens dreißig Minuten vor seinem Tod irgendeine Art von Fast Food gegessen. Das Mädchen aß Pommes, scheint den Hamburger aber ausgelassen zu haben.«
Faith sagte: »In den Mülleimern oder im Haus haben wir keine Fast-Food-Verpackungen gefunden.«
»Dann haben sie vielleicht unterwegs gegessen. Für die Verdauung ist das übrigens das Schlechteste. Es gibt einen Grund, warum Fettleibigkeit in diesem Land epidemisch ist.«
Faith fragte sich, ob der Mann in letzter Zeit in den Spiegel geschaut hatte. Sein Bauch war so groß, dass er unter den Falten seines Laborkittels wie schwanger aussah.
Pete fragte:
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