Will & Will
den couchtisch, den sie bei ihrer putzaktion auf hochglanz poliert hat. sie steht auf und breitet die arme aus und dann umarmt sie ihn auch.
mich danach zu sehnen habe ich mir nie erlaubt.
aber natürlich war ich die ganze zeit sehnsüchtig danach.
um die wahrheit zu sagen: tiny isst beim abendessen fast das ganze chicken parmigiana allein und er bestreitet auch fast die ganze unterhaltung allein. wir reden die meiste zeit über völlig blödsinnige dinge – warum mini-hotdogs besser schmecken als normale hotdogs; warum cats in den achtzigern so erfolgreich war und weshalb sondheim interessanter ist als lloyd webber (weder mom noch ich können zu diesem thema viel beitragen). irgendwann entdeckt tiny, dass mom eine davinci-postkarte an den kühlschrank geklebt hat, und fragt sie, ob sie schon mal in italien gewesen sei. worauf sie ihm von der italienreise erzählt, die sie in ihrer collegezeit einmal mit drei freundinnen gemacht hat, und da wird es endlich interessant. er erklärt, dass ihm neapel noch besser als rom gefällt, weil die neapolitaner so eng mit ihrer stadt verbunden seien. und dann erzählt er, dass er für sein musical eigentlich auch ein lied über das reisen geschrieben hat, in der endfassung musste es aber leider rausfliegen. er singt uns ein paar strophen vor:
War man im Leben auch nur einmal in Napoli,
isst man höchst ungern Mirácoli,
und war man einmal nur in Milano
kauft man stets original Parmigiano.
Wer in Venedig Espresso trank,
wird von normalem Kaffee krank.
Prosciutto, Salami, Minestrone –
es geht nach Florenz nicht mehr ohne.
Drum zieht es einen Jungen nach Italien,
warnt ihn dringend vor den Saturnalien!
War er einmal auf der Piazza in Roma,
lebt er sein Leben in Chicago wie im Koma!
das erste mal, seit ich denken kann, wirkt meine mutter richtig locker und gelöst. sie summt sogar etwas mit. als tiny geendet hat, kommt ihr applaus von herzen. und ich denke mir, höchste zeit, diese feier der liebe zu beenden, bevor tiny und mom noch zusammen durchbrennen und eine band gründen.
ich biete ihr an, den tisch abzuräumen und abzuspülen, und sie tut so, als wäre sie darüber echt schockiert.
ich: aber ich spül doch immer ab.
mom blickt mit ernster miene zu tiny.
mom: stimmt, das tut er.
dann prustet sie los.
so richtig wohl fühle ich mich dabei nicht, obwohl mir klar ist, dass es auf vielerlei arten schlimmer hätte ausgehen können.
tiny: zeigst du mir dein zimmer?
das ist keine versteckte anmache à la oh-ich-glaub-meinreißverschluss-klemmt. wenn tiny sagt, dass er mein zimmer sehen möchte, dann möchte er mein zimmer sehen.
mom: geht nur. ich kümmer mich um den abwasch.
tiny: danke, mrs grayson.
mom: anne. nenn mich bitte anne.
tiny: danke, anne!
ich: ja, danke, anne.
tiny klopft mir auf die schulter. er will mich bestimmt nur leicht berühren, aber es fühlt sich an, als würde ein vw-käfer gegen mich donnern.
ich führe ihn zu meinem zimmer und kriege sogar ein ta - tata! hin, als ich die tür öffne. er stellt sich in die mitte und nimmt alles in sich auf. dabei lächelt er die ganze zeit.
tiny: goldfische!
er steuert auf das glas zu. wenn jemals die goldfische die herrschaft übernehmen und ein kriegsverbrechertribunal einrichten sollten, erläutere ich ihm, dann würde ich bestimmt mit einem angelhaken durch die nase erhängt werden, weil die sterblichkeitsrate in meinem kleinen goldfischglas höher ist als in der küche eines chinarestaurants.
tiny: wie heißen sie?
oh nein, bitte nicht.
ich: samson und delila.
tiny: wirklich?
ich: sie ist die totale hure.
er beugt sich vor, um das futter für die goldfische genauer zu betrachten.
tiny: du fütterst sie mit rezeptpflichtigen medikamenten? ich: natürlich nicht. das sind meine.
es ist nämlich der einzige weg, um weder das eine noch das andere zu vergessen. nur wenn ich das fischfutter und die medikamente nah beieinander habe, denke ich daran, die fische zu füttern und die pillen zu nehmen. trotzdem, ich hätte vielleicht doch etwas besser aufräumen sollen. denn natürlich wird tiny mich jetzt ausfragen, und ich habe zwar überhaupt keine lust, dieses thema zu vertiefen, aber gleichzeitig will ich auch nicht, dass er glaubt, ich würde wegen krätze behandelt oder so was.
ich: das ist gegen depressionen.
tiny: oh. ich fühle mich manchmal auch deprimiert.
wir nähern uns jetzt
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