Will & Will
gefährlich der art von gespräch, die ich immer wieder mit maura hatte, wenn sie mir verkündete, sie wüsste genau, wie ich mich fühle, und ich ihr dann immer erklären musste, nein, das wüsste sie überhaupt nicht, denn ihre traurigkeit wäre nie so abgrundtief wie meine. ich zweifle nicht daran, dass tiny sich auch manchmal deprimiert fühlt. aber er nennt das wahrscheinlich nur so, weil er nichts hat, womit er seine vorübergehende trübe stimmung vergleichen kann. was sollte ich ihm darauf antworten? dass ich mich nicht nur deprimiert fühle , sondern dass die depression so was wie mein innerster kern ist, dass sie mir tief in den knochen
steckt und von allem besitz ergreift, von den gefühlen, von den gedanken, von allem? dass bei mir alles nachtschwarz ist, wo er manchmal die welt grau in grau sieht? dass ich diese pillen deswegen so sehr hasse, weil ich weiß, wie nötig ich sie zum überleben brauche?
nein, das kann ich alles nicht sagen. denn im grunde seines herzens will das keiner hören. egal, wie sehr man dich mag oder liebt, keiner will so was hören.
tiny: welcher von beiden ist samson und welcher delila?
ich: ganz ehrlich? ich hab’s vergessen.
tiny lässt seinen blick über mein bücherregal schweifen, fährt mit der hand über das keyboard und gibt dem globus, den ich nach der fünften klasse bekommen habe, einen schubs.
tiny: sieh mal einer an! ein bett!
eine sekunde lang befürchte ich, dass er draufspringt, was der bettrahmen ganz bestimmt nicht verkraften würde. aber mit einem fast schüchternen lächeln setzt er sich vorsichtig auf den rand.
tiny: wie gemütlich!
wie hab ich es nur fertiggebracht, mir so einen zuckerstreusel-donut als freund an land zu ziehen? mit einem nicht unfreundlichen seufzer lasse ich mich neben ihn fallen. ich rutsche auf ihn zu.
aber vor dem unvermeidlichen nächsten schritt vibriert auf
dem schreibtisch mein handy. ich beschließe, nicht weiter darauf zu achten, aber tiny sagt mir, ich soll nachschauen. also lese ich, was da steht.
tiny: eine sms? von wem?
ich: nur gideon. er will wissen, wie’s läuft.
tiny: aha. gideon.
aus tinys stimme ist deutlich misstrauen herauszuhören. ich lege das handy weg und setze mich wieder zu ihm aufs bett.
ich: du bist aber nicht auf gideon eifersüchtig, oder?
tiny: weil er süß und jung und schwul ist und dich jeden tag zu sehen bekommt? worauf sollte ich da eifersüchtig sein?
ich küsse ihn.
ich: da gibt es nichts, worauf du eifersüchtig sein musst. wir sind nur freunde.
dann wird mir schlagartig etwas klar und ich fange an zu lachen.
tiny: was denn?
ich: ich hab einen jungen bei mir im bett!
es ist ein so dummer, schwuler gedanke. ich fühle mich, als müsste ich ungefähr hundertmal ›ICH HASSE DIE WELT‹ in meinen arm ritzen, um das wieder auszugleichen.
mein bett ist nicht groß genug für uns beide. zweimal lande
ich auf dem fußboden. wir ziehen beide kein einziges kleidungsstück aus – aber das macht irgendwie überhaupt keinen unterschied. denn wir fallen total übereinander her. er ist groß und stark, aber beim ziehen und schubsen nehme ich es mit ihm auf. bald sind wir ein einziges heißes durcheinander.
irgendwann sind wir völlig erschöpft und liegen einfach nur noch da. sein herz schlägt gewaltig.
wir hören, wie meine mutter den fernseher anmacht. die kommissare ergreifen das wort. tiny fährt mit seiner hand unter mein t-shirt.
tiny: wo ist dein vater?
auf die frage bin ich überhaupt nicht vorbereitet. ich spüre, wie ich mich verkrampfe.
ich: keine ahnung.
mit seiner berührung versucht tiny, mich zu besänftigen. mit seiner stimme versucht er, mich zu beruhigen.
tiny: schon in ordnung …
aber ich kann nicht. ich kann es nicht annehmen. ich setze mich auf und katapultiere uns beide aus unserem verträumten zustand. tiny rutscht ein stück zur seite, um mich besser anschauen zu können. der impuls in mir ist heftig und eindeutig: auf einmal will ich das alles nicht mehr. nicht wegen meinem vater – mein vater bedeutet mir ehrlich gesagt nicht
viel –, sondern weil ich genau weiß, wie das alles ablaufen wird.
ich verhandle mit mir selbst.
hör auf damit.
bleib dran.
rede mit ihm.
tiny wartet. tiny schaut mich an. tiny ist nett zu mir. weil er noch nicht begriffen hat, wer ich wirklich bin. was ich bin. ich werde nie so nett zu ihm sein können wie er zu mir. das beste ist, ich
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