Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wille zur Macht

Wille zur Macht

Titel: Wille zur Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schlosser
Vom Netzwerk:
Martin unter Granatbeschuss kommen sollte. Aber erstens mochten einige Frauen der Brigade diesen Tunnel nicht besonders, da er unbeleuchtet war und unter Wasser stand und von unzähligen dicken, braunen Kröten bevölkert war, auf denen man entlangrutschte. Und zweitens war jedem klar, auch wenn nie darüber gesprochen wurde, dass die Contra natürlich wusste, dass eine westdeutsche Brigade anwesend war, und ein Angriff bedeutete, dass es sie nicht interessieren würde, ihr Schicksal also ausgesprochen uneinschätzbar war. Manchmal kam es schon vor, dass ein Brigadist oder eine Brigadistin dem psychischen Druck der Situation nicht standhalten konnte und ein bisschen ausflippte. Aber Vorfälle dieser Art waren selten. Das Hamburger Komitee hatte schon die Richtigen ausgesucht.
    In einer Nacht war Dunker für die Wache von zwei bis sechs am Rand des Dorfes eingesetzt worden. Er stapfte im Dunkeln die lehmige Dorfstraße entlang, sagte sich immer wieder in Gedanken die für diese Nacht geltende Parole vor, die Freund von Feind unterscheiden helfen sollte, und erreichte seine Stellung am Ende von San Martin. Rechtzeitig, bevor er in den schlammigen Schützengraben stieg, bemerkte er, dass es in ihm nur so von Ratten wimmelte. Wahrscheinlich hatte Gabriele, die er ablöste, irgendetwas während der Wache gegessen, und nun machten sich die Ratten über die Reste am Boden her. Unter die Ratten wollte er nicht steigen. Er schaute sich so gut es die Nacht zuließ um und suchte nach einer anderen Deckung, von wo aus er seiner Aufgabe ebenfalls nachkommen konnte. Er schlich langsam zwischen den Büschen am Rande der Straße entlang und entdeckte einen Stapel aus massiven Brettern. Er überprüfte, ob er von dort aus einen guten Blick auf den Eingang der Dorfstraße hatte und meinte im Ergebnis, sogar einen besseren Überblick als aus dem Graben zu haben. Er ließ sich nieder, lehnte sein Sturmgewehr neben sich an die Bretter und versuchte, die Umgebung auszuspähen. Zu sehen gab es nichts, zu hören auch nicht.
    Die letzte Nachtwache war immer die härteste. Man war am Abend müde von der Arbeit auf dem Bau ins Bett gegangen, war kaum eingeschlafen, als die Ratten zu nerven begannen, und als man endlich ein paar Stunden geschlafen hatte, wurde man geweckt und musste aus dem warmen Bett raus in den Regen der Nacht. Schon nach einer Stunde fielen Christian Dunker fast die Augen zu. Während eines Sekundenschlafes kippte er nach vorne gegen die Bretter, wurde erschrocken wieder wach und stieß die AK um, die glücklicherweise nicht losging. Er atmete ein paarmal tief durch und suchte sein Päckchen mit den starken nicaraguanischen Zigaretten. Er klopfte auf die Brusttaschen seiner Jacke, rechts war nur die Kamera, links gähnende Leere und ärgerte sich schon, dass er die Zigaretten wahrscheinlich gar nicht mitgenommen hatte, als er das kratzige Papier der Packung tief unten in seiner Hosentasche spürte. Vorsichtig zündete er sich eine an und hielt wieder geschickt die hohle Hand über die Glut, so dass sie von weitem nicht gesehen werden konnte. Ein rauchender Soldat war halt der Klassiker der Zielansprachen für einen Scharfschützen. Es war riskant.
    Plötzlich hörte er Geräusche. Sofort ließ er die Zigarette in den Matsch fallen und zog die AK auf den Bretterstapel. Christian Dunker suchte mit den Augen angestrengt die Umgebung ab und spitzte die Ohren. Da war es wieder: ein hölzernes Knarren und ein Stöhnen. Ein unterdrücktes Stöhnen. Leise und relativ weit entfernt. Sein Herz schlug schneller. Sollte er jetzt vorsichtshalber schon einen Warnschuss abgeben und damit die anderen alarmieren? Er war sich nicht sicher. Er nahm sich ein Herz und krabbelte auf allen Vieren mit der AK in der Hand durchs Gestrüpp, um den Geräuschen näherzukommen. Etwa fünfzig Meter vor sich entdeckte er einen matten Lichtschein. Vorsichtig bewegte er sich näher darauf zu. Er entsicherte die AK und schob sie jetzt am Schaft gepackt vor sich her. Bloß nicht den empfindlichen Abzug berühren. Die AK konnte ganz schnell losgehen. Die Geräusche wurden etwas lauter. Zwanzig Meter vor sich entdeckte er die Rückseite eines hölzernen Unterstandes, ähnlich einer einfach gezimmerten Bushaltestelle. Durch einige Spalten der aufrecht angenagelten Bretter fiel ein Streifen schwachen Lichtes. Das Stöhnen war jetzt klarer zu vernehmen. Ihm fielen die Geschichten ein von Söldnern, die nachts in die Dörfer kamen und Bewohner, besonders gern

Weitere Kostenlose Bücher