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Wille zur Macht

Wille zur Macht

Titel: Wille zur Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schlosser
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stehen Scheiße war – hier war sie sinnvoll und wichtig.
    Leiser Regen setzte ein und machte ihm seine erste Nacht im Schützengraben schwer. Es war ein viel feinerer Regen als die Sturzbäche, die sich einmal am Tag über Managua ergossen. Und dieser Regen hörte nicht wieder auf. Nach zwei Stunden war sein Parka durchnässt. Es war zwar nicht kalt, aber unangenehm feucht auf der Haut. Irgendwo begannen ein paar Frösche ihr Quaken. Christian Dunkers Gummistiefel sanken tiefer im Matsch ein. Die AK rutschte vom Stamm in den aufgeweichten Boden des Schützengrabens. Er zog sie wieder hoch und wischte mit den bloßen Händen den Schlamm von Lauf und Verschluss. Hoffentlich funktionierte sie jetzt noch. Der Regen nahm noch zu, und das einzig Gute an ihm war, dass er die AK von allen Seiten wieder sauber spülte. Endlich war die Zeit um. Ihm war kalt geworden. Obwohl es noch weit über zwanzig Grad waren, hatte die verdunstende Nässe auf seiner Haut dafür gesorgt, dass ihm fröstelte. Sogar seine Nase lief ein wenig. Er stieg aus dem Graben, eilte mit seinen lehmverklebten Stiefeln zurück ins Brigadenhaus, wo ihm eine Mischung aus sanftem Atmen und lautem Schnarchen entgegenschlug. Er suchte im Dunkel die Schlafstatt von Steffi aus Berlin, die ihn ablösen sollte, und weckte sie vorsichtig, indem er leicht an ihrer Schulter ruckelte. Sie war sofort wach, stand auf, nahm die AK und verließ wortlos sofort das Brigadenhaus. Total militärisch. Sie war sehr diszipliniert.
    Christian Dunker ging im düsteren Haus zu seinem Bett. Er zog sich die nasse Jacke und das T-Shirt aus, hängte beides an den Bettpfosten, schlüpfte ein wenig umständlich aus Gummistiefeln und Hose und legte sich in seinen Schlafsack. Es dauerte nur einige Minuten, bis ihm wieder warm wurde. Und wenige mehr, bis er einschlief.
    Am nächsten Morgen stellte die Brigade nach dem Zähneputzen fest, dass das von ihnen produzierte Trinkwasser niemals für alle reichen würde. Und schon gar nicht, wenn es zum Zähneputzen benutzt wurde.
    Zur Bereitung von Trinkwasser fingen sie Regen vom Dach auf und ließen diesen durch eine Filteranlage laufen, die das Wasser von Keimen befreite. Es hatte sich herausgestellt, dass die einheimische Bevölkerung zwar das Wasser aus dem Fluss vertragen konnte, es aber bei europäischen Brigadisten zu einem schrecklichen Durchfall führen konnte.
    Die installierte Filteranlage konnte aber einem Bedarf, wie ihn die Brigadisten aus Deutschland kannten, bei weitem nicht nachkommen. Also wurde das Wasser rationiert.
    Bevor es Frühstück gab, wurde gearbeitet. Bis auf die Brigadisten, die die letzte Wache bis sechs Uhr gemacht hatten, gingen alle auf die Baustelle und arbeiteten zwei Stunden an der Errichtung weiterer Häuser für die Flüchtlinge.
    Um acht Uhr gab es dann Frühstück: Kaffee, eine heiße schwarze Brühe, die ungefiltert in einem Blechtopf gekocht wurde und einen Toten hätte erwecken können, und Reis mit Bohnen. Das, was es immer gab. Auch mittags und abends. Jeden Tag.
    Tabak und Schokolade wurden zur Mangelware. Christian Dunker hatte eines Nachts drei Brigadisten dabei beobachtet, wie sie klammheimlich jeder ein kleines Stückchen Schokolade geteilt hatten. Schwer konspirativ war es dabei zugegangen. Aber so war das in San Martin mit allem. Es gab nichts zu kaufen und in der Umgebung auch keine Geschäfte. Alles, was knapp wurde, wurde wertvoller: aus Deutschland mitgebrachte Schokolade, Zigaretten und Tabak und der gebunkerte Flor de Caña. Jede Zigarette wurde genussvoll inhaliert. Viele rauchten aus Mangel an Nachschub nur eine am Tag und zelebrierten den Moment des Rauchens geradezu. Es hatte eindeutig etwas Positives, Luxus auf diese neue Art und Weise zu empfinden. Viele der Brigadisten waren zu Hause in ihren Heimatländern nicht gerade mit Wohlstand und Reichtum versehen. Aber sie würden zukünftig dort vieles sicher anders sehen können.
    So gingen die Tage und Wochen ins Land. Immer wieder waren in der Ferne oder auch näher Schüsse zu hören. Hell aufblitzende Explosionen in den umliegenden Bergen zeugten von Kämpfen, bei denen Granatwerfer zum Einsatz kamen. Aber die Auseinandersetzungen erreichten San Martin bis jetzt nicht. Sie blieben davon verschont. Und die meisten hofften, dass es auch so bleiben würde. Zwar gab es im Brigadenhaus eine im Boden eingelassene Klappe, von der aus man durch einen Gang unter dem Haus in einen Erdbunker gelangen konnte. Der einzige Schutz, falls San

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