Wille zur Macht
auf einmal verlangte nach einer Pause und frischer Luft. Ein Blick nach draußen verstärkte diesen Wunsch. Ein strahlendblauer Himmel mit feinen, weißen Wolkenschlieren zeugte davon, dass es auf der Straße wahrscheinlich wärmer war als in dem alten Gemäuer des Polizeihauses. Mechthild zog die Jacke ihres beigen Hosenanzugs über, knotete sich ein regenbogenfarbenes Seidentuch in den Ausschnitt ihrer weißen Bluse und stellte bei einem Blick in den Spiegel an ihrem Büroschrank zufrieden fest, dass sie ganz schön schick aussah. Sie schlich sich an den Büros ihrer Mitarbeiter, die emsig an ihren Aufgaben arbeiteten, vorbei und überlegte vor dem Polizeihaus stehend, wohin ihr Weg sie am besten treiben sollte. Fritz Behrmann fiel ihr ein und sie zückte ihr Handy. Er war gleich dran. Und obwohl er noch sehr viel zu organisieren hatte, konnte er der Verlockung nicht widerstehen, mit Mechthild die Mittagspause zu verbringen. Nur wenige Minuten später eilte er aus dem Haus und traf sie vor der Tür. Sie entschlossen sich, an der Weser spazieren zu gehen und irgendwo einen leichten Salat zu essen. Als sie die Promenade am Weserufer erreicht hatten, stolzierten sie Hand in Hand, so wie es nur Frischverliebte können, den befestigten Weg entlang.
Heiner Heller hatte zwar von der Telephongesellschaft schon eine Bestätigung per Fax erhalten, dass man ihm die Telephondaten Christian Dunkers in Kürze zusenden würde, aber sie waren eben noch nicht da. Also arbeitete er sich durch das kleine Notizbuch Dunkers. Der schwarze Einband aus Pappe war arg ramponiert, und einige Seiten waren herausgefleddert und wieder hineingesteckt worden. Aber es schien keine zu fehlen. Heller wählte die erste Nummer. Nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte, wurde er von dem Angerufenen, der als Erster auf der Seite für Nachnamen mit Anfangsbuchstaben A stand, ziemlich barsch abgewiesen mit dem Hinweis, dass man nicht mit der Polizei zusammenarbeiten würde und er nicht auf die Idee kommen sollte, noch einmal anzurufen. Heller verstand die Welt nicht mehr. Ihm ging es doch darum, einen Mord aufzuklären und nicht, irgendwelche Bekannte des Opfers auszukundschaften. Als auch das zweite Telephonat einen ähnlichen Verlauf nahm, entschloss sich Heller, erst einmal jeden Namen aus dem Telephonbuch durch die Datensammlung der Polizei laufen zu lassen. Bei diesen schwierigen Zeugen musste er besser vorbereitet sein. Eine mühsame Arbeit. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass die meisten Eingetragenen noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt hatten. Aber es gab auch einige andere. Ein Bremer Anwalt sollte angeblich Anfang der achtziger Jahre Kontakte mit deutschen Terroristen gehabt haben. Bewiesen wurde das aber nie. An einem Überfall auf ein Observationsteam des Verfassungsschutzes in der Neustadt war ein Wissenschaftler der Universität beteiligt gewesen. Er fand vieles in der Vergangenheit einiger Leute, was selbst einem Polizisten wie Heller verdeutlichte, wie überzogen der Staat auf ein paar Terroristen, die angeblich die ganze Republik bedrohten, reagiert hatte. Er stieß auf eine junge Frau, deren Wohnung durchsucht wurde und in der lediglich ein einzelnes Flugblatt zur Unterstützung der RAF gefunden wurde. Das brachte ihr ein Jahr Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein. Und zwar ohne Bewährung. Heller kannte diese deutsche Periode nur aus Erzählungen, aber es machte ihn schon nachdenklich, wie schnell man damals kriminalisiert werden konnte. Mit all den nachteiligen Folgen für das weitere Leben.
Aktuelle Erkenntnisse lagen nur spärlich vor und waren nicht besonders aufregend. Gegen zwei Frauen war ein Verfahren eröffnet worden, weil sie im vergangenen Jahr Eier auf die ehrenwerten Teilnehmer der Schaffermahlzeit im Bremer Rathaus geworfen hatten. Dann gab es unter den Bekannten von Dunker noch einen stadtbekannten Punk, der sich an einem Fußballspiel auf der Sielwallkreuzung beteiligt hatte und bei seiner Festnahme einen Beamten getreten hatte. Das war aber auch alles. Christian Dunker hatte wahrscheinlich nicht mehr mit Straftätern zu tun als andere Bürger auch. Wer wusste denn schon von seinem Nachbarn, mit dem er beim Grillen im Garten ein Bier trank, dass dieser schon einmal beim Ladendiebstahl erwischt worden war oder seinen Führerschein wegen Trunkenheit verloren hatte?
Nein, kriminelle Zusammenhänge konnte Heller beim besten Willen nicht aus diesem Telephonverzeichnis ableiten. Dunker
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