Wille zur Macht
abgetrennte Arme und Beine. Auf dem Tisch, ins Sägeblatt gedrückt, lag der misshandelte, tote Torso eines Russen. In seinen Rücken hatten seine Peiniger einen fünfzackigen Sowjetstern tief eingeschnitten.“ Mechthild legte das Buch aufgeschlagen zur Seite. „Und deswegen glauben Sie ...?“
„Ja, natürlich!“ konstatierte Roder. „So gehen die Nazis mit den Kommunisten um, wenn sie ein Exempel statuieren wollen. Mit dem, was wir sonst wissen, passt das sehr gut zusammen. Wir hatten ja nicht nur Dunker im Visier. Auch in der Naziszene verdichteten sich die Hinweise darauf, dass sie Dunker etwas anhaben wollten. Wir sind ja auf dem rechten Auge nicht blind.“
Mechthild las den anderen die Passage im Buch vor. Bestürzung machte sich breit.
„Haben wir denn solche Neonazis in Bremen?“ Ayse konnte das nicht glauben. Als türkischstämmige Deutsche bereiteten ihr ausländerfeindliche Gruppen große Sorgen und Angst. Auch um ihre Eltern.
Aus einer Aktentasche zog Roder einen dicken Ordner hervor. „Hier. Das sind Daten über Personen und Orte mit rechtsextremistischem Bezug. Hierauf sollten Sie Ihre Ermittlungen fokussieren. Sie werden sehen, dass Sie dort schnell vorankommen werden.“
Mechthild blätterte den Aktenordner durch. Er war voller Notizen und Photos. Kopien von Strafanzeigen zeigten, dass Neonazis auch in Bremen, mehr als ihr lieb war, präsent waren. Übergriffe auf Ausländer, Brandanschläge, und immer wieder Ermittlungen wegen Volksverhetzung.
„Also gut.“ Mechthild schluckte ihre Vorbehalte gegen Roder runter. „Wir setzen uns gleich an die Auswertung der Hinweise. Wie stellen Sie sich unseren Informationsaustausch denn nun vor, Herr Roder?“
„Da brauchen wir keinen großen Aufwand zu betreiben. Es reicht mir, wenn Sie mir einfach per E-Mail Ihre Ermittlungsfortschritte mitteilen. Wenn mir auffällt, dass ich Ihnen irgendwo weiterhelfen kann, melde ich mich bei Ihnen.“
Ayse Günher und Heiner Heller waren erleichtert, dass sie ihren ehemaligen Chef nicht ständig erleben mussten. Auch sie wollten nach den zurückliegenden Vorfällen lieber auf Distanz bleiben. Aber Mechthild erschien diese Zurückhaltung von Kurt Roder eher verdächtig. Das entsprach gar nicht seiner bekannten Art, sich in den Vordergrund spielen zu wollen. Es deutete eher darauf hin, dass er aus dem Hintergrund die Kontrolle behalten wollte. Sie wollte vorsichtig sein. Sie gab vor, mit Roders Vorschlag einverstanden zu sein. Roder verabschiedete sich, bemerkte, dass er glaube, die bevorstehende Zusammenarbeit würde bestimmt schnell zu einem erfolgreichen Ergebnis führen, und verließ das Konferenzzimmer.
Mechthild schlug den Aktenordner wieder zu. „Also gut. Ich bin zwar nicht gerade begeistert, dass wir uns so schnell festlegen sollen, aber es ist immerhin eine Spur, die es genauso zu verfolgen gilt wie andere auch. Selbst wenn sie nach Auskunft des Kollegen Roder die einzig richtige sein soll.“
Sie reichte Peer Souton die Akte und bat ihn, eine Kopie für sich herzustellen. Er sollte sich ebenso wie sie selbst mit den Inhalten beschäftigen und Vorschläge für das weitere Vorgehen entwickeln. Strehlow, Günher und Heller hatten ihre Personendateien, Telephonlisten und die gespeicherten Schriftstücke zu bewältigen.
„Wer Lust hat, sollte heute noch mal eine ordentliche Mittagspause machen. Ich denke, dass ab morgen nach Erscheinen der Presseberichte einiges los sein wird.“
Mechthild setzte den nächsten Besprechungstermin für vier Uhr nachmittags an. Dann wartete sie in ihrem Büro auf Souton, der ihr erst nach einer halben Stunde den Aktenordner wieder zurückbrachte.
„Ist mehr drin als man glaubt“, entschuldigte er sich. „Beim Kopieren habe ich Gestalten gesehen, denen ich lieber nicht auf der Straße begegnen möchte.“
„Das glaube ich gern. Wenn an der Sache etwas dran ist, müssen wir ganz schön vorsichtig sein. Wenn die wirklich etwas mit Dunkers Tod zu tun haben, haben wir es nicht mit irrgeleiteten kleinen Jungs zu tun.“
Mechthild schlug die Akte auf. Roders Handschrift war klar zu erkennen. Trotz seiner menschlichen Unzulänglichkeiten verstand er sein Handwerk. Er hatte die Unterlagen nach Straftaten, Tätern und verdächtigen Personen, Treffpunkten, Aufrufen und Abhörprotokollen gegliedert. Mechthild nahm sich zuerst die politischen Aufrufe vor.
„Deutschland den Deutschen“ und „Heimführungshilfen für Ausländer“ waren nur Andeutungen einer rechten
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