Wille zur Macht
Gesinnung im Vergleich zu Flugblättern mit der Forderung „Moscheen und Synagogen verhindern“, „Die Straße gehört dem deutschen Volk“ und „Ghettos beseitigen“. Gruppen wie „White Power“ und „Germania Skinheads“ riefen auf, ausländerfreie Zonen durch starke Präsenz auf der Straße auf- und auszubauen, auf einem Photo mit der Unterschrift „In Deutschland noch verboten, in den USA toleriert“ wurde ein Bild mit Ku-Klux-Klan-Anhängern gezeigt, die einen Schwarzen an ein Kreuz genagelt hatten. Solche Aufrufe hatten natürlich kein Impressum. Aber auch subtilere Botschaften wurden verbreitet: „Mehr Sozialhilfe für Deutsche“, „Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Hände“ oder „Deutschland stirbt aus – Familienförderung für Frauen“. Mechthild las aufmerksam jedes Flugblatt und jeden Aufruf. Einige Schriften hoben sich deutlich von dem ansonsten vorherrschenden, platten, agitatorischen Stil ab. Sie arbeiteten mit angeblichen Fakten, demographischen Statistiken und kriminalistischen Studienergebnissen. Sie richteten sich in moderater Form an gebildetere Menschen und überließen den Lesern, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Stoßrichtung war aber dieselbe. Immer ging es darum, Feindbilder aufzubauen, Intoleranz zu verbreiten und gegen Minderheiten aufzuhetzen. Als sie den ersten Teil der Akte hinter sich gebracht hatte, musste sie zugeben, dass sie nicht einen der Namen unter den Schriften kannte. Sie war zwar unzweifelhaft gegen Rechtsextremismus eingestellt, aber wer in Bremen diese politische Richtung vertrat, damit hatte sie sich noch nie wirklich beschäftigt.
Nun nahm sich Mechthild die Personendaten, zum Teil mit Photos ergänzt, vor. Sie ging davon aus, dass sie die dort Aufgelisteten sicher in den später folgenden Abschnitten immer wieder antreffen würde. Dann wollte sie wissen, mit wem sie es zu tun haben würde. Hauptsächlich wurde sie mit finster blickenden Typen mit kahlgeschorenen Schädeln und eindeutigen Tätowierungen konfrontiert. Viele von ihnen waren auch in der Hooligan-Szene zu Hause. Aber dann gab es die, denen man ihre Gesinnung nicht ansehen konnte. Ein Rechtsanwalt, der seit geraumer Zeit versuchte, ein seiner Geisteshaltung entsprechendes Schulungsheim zu errichten. Ein Journalist, der ein Buch mit Beiträgen zur nationalen Lage herausgegeben hatte, zu dem sogar eine bekannte Bremer Politikerin einen unterstützenden Aufsatz beigesteuert hatte. Auf seinen Lesungen und Vorträgen ließ der Mann im Hintergrund Filme zeigen, auf denen Adolf Hitler reißerische Reden vor SA-Männern hielt. Da es sich um offizielles Material der Landeszentrale für politische Bildung handelte, konnte man ihm rechtlich nur schwer beikommen. Auch wenn er die Bilder ohne Ton laufen ließ, so dass der dazugehörige, kritische Kommentar seinen Anhängern erspart blieb. Mechthild Kayser war erstaunt, wie viele ihrer Bremer Mitbürger offen für ihre rechte Gesinnung eintraten. Gerade auch im immer etwas vernachlässigten Norden Bremens hatte sich eine feste rechte Gemeinschaft entwickeln können, die als gewaltbereit galt und sogar Fackelzüge im Stadtteil Blumenthal veranstalten konnte. Aber auch die Bremer Innenstadt und das als aufgeklärt und tolerant geltende Viertel, in dem sie wohnte, waren nicht frei von Rechtsextremen. Sogar in der Humboldtstraße, in der sie wohnte, gab es einen Verein, der sich Vereinigte Arier nannte.
Mechthild schlug den nächsten Aktendeckel zurück und las Kopien von Strafanzeigen. Kurt Roder hatte den Vorgängen eine Statistik über die Entwicklung rechtsextremer Straftaten in Bremen vorgehängt und wies darauf hin, dass im Folgenden nur ein Auszug der aktuellen Taten beispielhaft wiedergegeben wurde. Es reichte Mechthild auch so. Silvesterhatz einer Skinhead-Armada auf Türken, Überfall auf ein Jugendzentrum, verabredete Schlägereien zwischen Hooligans, Ausländern und Autonomen, gewalttätige Angriffe auf antifaschistische Bündnisse. Mechthild wurde klar, dass der Hinweis Kurt Roders nicht von der Hand zu weisen war. Die rechtsextremen Taten entwickelten sich zunehmend brutaler. Und ein Mord, der ein Exempel statuieren sollte, passte dazu ins Bild. Schon einmal hatte vor einigen Jahren ein Bremer Rechtsextremer einen Mann erschossen. Allerdings reichte die Beweislage nur für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung aus. Entsprechend niedrig war auch die Bestrafung.
Mechthild schob den Aktenordner von sich. Soviel brauner Sumpf
Weitere Kostenlose Bücher