Wille zur Macht
Erglis Bruninieks in die Neonazi-Szene Bremens passt.“
Damit schob sie Roder den Ausdruck eines Photos von Bruninieks zu, den sie aus Riga per E-Mail erhalten hatte. Roder starrte auf das Bild. Er biss die Zähne zusammen. „Ich glaube, dass Sie auf eine falsche Fährte reinfallen. Diese Spur ist möglicherweise absichtlich gelegt worden, um sie abzulenken. Sie schenken der Gegenseite damit noch mehr Zeit, sich gegen unsere Ermittlungen zu wappnen.“
Es hörte sich nicht überzeugend an, was Roder da gerade von sich gegeben hatte. Aber mit aller Gewalt wollte er an seiner Theorie des Racheaktes aus der Nazi-Szene festhalten.
Mechthild schüttelte den Kopf. „Herr Roder. Es behauptet doch niemand, dass Ihre Ansicht falsch ist. Vielleicht stellt sich ja noch eine Verbindung Bruninieks nach Bremen heraus. Es wäre auch möglich, dass er ein gekaufter Mörder ist. All das werden wir bald in einer Vernehmung abzuklären versuchen. Wir erhöhen doch eindeutig den Verfolgungsdruck, wenn wir bekannt geben, dass ein dringend Verdächtiger gefasst wurde. Das sehen Sie doch wohl auch so?“
Roder griff sich das Photo Bruninieks und stand auf. „Ja, das sehe ich auch so. Aber diesen Bruninieks halte ich für nicht besonders verdächtig. Wer weiß, aus welchen Gründen der bei Dunker war. Vielleicht haben die beiden eine politische Verbindung. Das werde ich klären.“ Dann stampfte Roder aus dem Besprechungszimmer.
Ayse wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht und deutete damit an, dass sie Roder für nicht ganz richtig im Kopf befand.
Mechthild kommentierte die Situation nicht weiter. Ihr war aufgefallen, wie einfach Roder der ungewöhnliche Name des Verdächtigen über die Lippen kam.
„Wir sollten Herrn Roders Gefühlsausbruch nicht überbewerten. Noch handelt es sich bei Bruninieks nur um einen Verdächtigen. Herr Roder könnte immer noch recht behalten, und es könnte sich herausstellen, dass er aus ganz anderen Gründen unser Opfer aufgesucht hatte.“ Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu. „Daran glaube ich persönlich allerdings nicht.“
Peer Souton, Ayse Günher und Fritz Behrmann wurden damit beauftragt, das belastende Material gegen Bruninieks aufzuarbeiten und eine Strategie für eine Vernehmung zu entwickeln. Mechthild selbst wollte von ihrem Büro aus noch einmal mit Laima Neumane sprechen und ihr mitteilen, dass der Haftbefehl in Arbeit sei. Vielleicht war es besser, den Verdächtigen in Riga schon vorsorglich zu observieren, damit er ihnen nicht entwischen konnte. Mechthild beschlich ein ungutes Gefühl. Sie hielt es für möglich, dass Bruninieks vorgewarnt werden könnte.
Dieser Ermittlungstag war für alle verwirrend gewesen. Am Abend auf dem Heimweg versuchte Ayse die neuen Indizien mit den bisherigen Erkenntnissen in Zusammenhang zu bringen. Aber es gelang ihr nicht. Bremer Neonazis und Bruninieks aus Riga: Das passte noch nicht zusammen. Die Vernehmung stand ja noch bevor. In Gedanken versunken erreichte sie den Eingang zu ihrer Wohnung in der Straße Vor dem Steintor. Die anrüchige Kneipe im Erdgeschoss hatte schon geöffnet, und durch die nikotinvergilbte Gardine des großen Fensters, vorbei an mehreren verwelkten Yuccapalmen, konnte sie sehen, dass schon einige Gestalten an der Theke saßen. In dem schmalen Hauseingang ging nicht nur rechts die Tür zur Gaststätte ab, sondern geradeaus auch die Haustür, die zum Treppenhaus führte und zu den Wohnungen in den oberen Geschossen. Verärgert stellte Ayse fest, dass mal wieder die Klingelanlage verkokelt worden war, und so, wie sie jetzt aussah, bestimmt nicht mehr funktionierte. Die nur angelehnte Haustür unterstrich diese Feststellung. Hauseingänge schienen sich bei den Drogenabhängigen im Steintor großer Beliebtheit zu erfreuen. Man konnte von vorbeifahrenden Streifenwagen nicht so schnell entdeckt werden, bei Regen boten sie Schutz, und man konnte hier relativ unbemerkt und schnell die erforderlichen kleinen Geschäfte erledigen. Warum aber von den Wartenden dabei regelmäßig die Klingelanlagen den Angriffen von Einwegfeuerzeugen ausgesetzt waren, erschloss sich niemandem. Sie kamen einem vor wie kindliche Zündeleien aus Langeweile. Na wenigstens war der Briefkasten diesmal verschont geblieben. Ayse entnahm ihm mehrere Briefe, begutachtete sie kurz und ärgerte sich über die Werbeeinwürfe, die trotz ihres Aufklebers „Keine Werbung“ den Weg in ihren Kasten gefunden hatten. Ob die Stromversorgung des Treppenhauses in
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