Wille zur Macht
versuchte, durch die geschlossenen Gardinen das Fahrzeug auszukundschaften. Sie erschrak. Im dunklen Innenraum konnte sie schemenhaft einen Mann entdecken, der ebenfalls mit einem Fernglas zu ihr herüberblickte. Aufgeregt trat sie sofort ein paar Schritte zur Seite. Sie war sich sicher, dass er sie nicht gesehen haben konnte und versuchte nun, aus einer abgelegenen Ecke ihre Gegenbeobachtung weiterzuführen. Ihr Gegenüber schien wirklich nichts bemerkt zu haben. Vorsichtig schlich Mechthild durch ihr dunkles Treppenhaus in die erste Etage. Dort, vom Flurfenster aus, wollte sie versuchen, das Kennzeichen abzulesen. Sie fingerte nach ihrem Handy und wählte die Nummer des Polizeireviers im Steintor. Sie hatte Glück. Es meldete sich ein Beamter, der sie kannte. Sie bat ihn, das Kennzeichen des Wohnmobils zu überprüfen, ohne ihm mitzuteilen, worum es ging.
Seine Antwort war überraschend. „Tut mir leid, Frau Kayser. Da haben Sie sich beim Ablesen vertan. Dieses Kennzeichen ist bislang gar nicht ausgegeben worden.“
Mechthild verschlug es für einen Augenblick die Sprache. Aber dann besann sie sich. „Verdammt noch mal! Ich glaube, ich sollte mir bald mal eine Brille zulegen. Aber trotzdem vielen Dank. Dann muss ich morgen im Büro noch mal schauen.“
Beunruhigt über den Beobachter versuchte Mechthild zu schlafen. Aber es klappte nicht. Sie war zu nervös. Erst als sie sich ihre Dienstpistole neben das Bett legte, kam sie ein wenig zur Ruhe.
Als sie morgens aufwachte, hatte sie keinen erholsamen Schlaf hinter sich. Sie hatte wirres Zeug von Dämonen und brennenden Häusern geträumt und war wiederholt wach geworden. Sie vermied es, im Haus Licht anzuschalten. Das Wohnmobil stand noch immer an seinem Platz. Mechthild versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als sie das Haus verließ. Aber entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit ließ sie heute das Fahrrad stehen und nahm ihr Auto, um ins Präsidium zu fahren. Dort holte sie gleich Ayse und Harald Strehlow in ihr Büro. Sie schwor beide darauf ein, nichts über das verlautbaren zu lassen, was sie ihnen jetzt erzählen würde. Und dann berichtete sie über ihren unheimlichen Beobachter und das merkwürdige Kennzeichen.
„Ich habe eine Bitte an Sie, Herr Strehlow. Sie sind am wenigsten bekannt von uns allen. Könnten Sie dieses Wohnmobil observieren. Sie brauchen nichts weiter zu tun, als zu schauen, wohin es fährt, oder wer ein- und aussteigt. Wenn jemand das Fahrzeug verlässt, versuchen Sie an ihm dranzubleiben und festzustellen, wohin er geht. Sie brauchen keinerlei Risiken einzugehen. Wenn Sie unsicher werden, kommen Sie einfach zurück ins Präsidium.“
Harald Strehlow fühlte sich geehrt. So viel Vertrauen in ihn zu setzen. Jetzt stand für ihn fest, dass er eine astreine Abschlussbeurteilung erhalten würde. Er hatte auch kein Problem damit, für diesen Auftrag seinen privaten Pkw einzusetzen. „Wahrscheinlich ist Ihr Wagen der Einzige, der nicht gleich erkannt wird“, meinte Mechthild. Strehlow hoffte das auch und machte sich auf den Weg.
„Und wenn es nur ein Spanner ist, der sich einen runterholt, während er dich beobachtet?“ Ayse glaubte zwar selbst nicht daran, nach allem, was sie bisher erlebt hatten, aber sie wollte ihre Freundin beruhigen.
„Mit einem Kennzeichen, das es gar nicht gibt? Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?“ Mechthild war gereizt. Nicht, weil Ayse sie beruhigen wollte. Das verstand sie sehr gut. Sie war ja schließlich ihre Freundin. Aber irgendetwas war hier im Gange, das sie nicht richtig erfassen konnte. Und das machte sie wütend.
„Ich glaube, Ayse, wir müssen verdammt vorsichtig sein. Irgendetwas geht hier vor. Hinter unserem Rücken wird agiert, als wenn hier viele andere ihr eigenes Süppchen kochen würden. Wir müssen aufpassen, dass uns die Ermittlungen nicht entgleiten.“ Dann erzählte Mechthild ihrer Freundin von den merkwürdigen Hinweisen, die sie von Paul erhalten hatte.
Ayse schloss für einige Zeit die Augen und besann sich. „BKA, Verfassungsschutz und so? Die arbeiten doch nicht gegen uns. Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Vielleicht nicht direkt gegen uns, Ayse“, erwiderte Mechthild nachdenklich. „Aber ich habe schon mal davon gehört, dass sie Ermittlungen behindert haben, um andere, sogenannte höherwertigere Ziele, verfolgen zu können.“ Dann erzählte sie Ayse von einem Ingenieur, der wegen angeblichen Verfolgungswahns aus einem Unternehmen geschmissen worden
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