Wille zur Macht
blickten mitfühlend auf die beiden Tamponagen in seinen Nasenlöchern.
„Oh, Herr Heller!“ begrüßte ihn Mechthild mitleidig, erhob sich und nahm seine ausgestreckte Hand in ihre beiden. „Sie sehen schrecklich aus. Sind Sie sicher, dass Sie schon wieder mitarbeiten können?“
„Vielleicht sollte ich persönliche Kontakte noch vermeiden. Aber an Computer und Telephon bin ich wieder ganz der Alte.“
„Bevor Sie hier weitermachen, möchte ich, dass Sie mit Herrn Roder sprechen, ob es nicht doch noch eine Möglichkeit gibt, die Täter zu ermitteln. Er verfügt bestimmt über die meisten Erkenntnisse der Szene und hat sicher auch seine Informanten. Es geht mir schwer ab, dass diese Tat ungesühnt bleiben soll.“
„Muss das denn sein? Ich habe eben Pech gehabt. Das passiert in unserem Beruf doch schon mal. Und mit Herrn Roder ... Sie wissen ja.“
Doch Mechthild bestand auf ihrer Anordnung. „Ja, das muss sein. Auf diesem Wege kommen wir vielleicht näher an die Mörder von Christian Dunker heran. Vielleicht ist einer von denen, die Ihnen das angetan haben, an dem Mord beteiligt gewesen. Also, wenn Sie sich nicht krank schreiben lassen wollen, dann gehört das zu ihren Ermittlungen dazu.“
Heiner Heller nickte vorsichtig und schob einen herausrutschenden Tampon zurück in seine Nase.
Zwei Stunden später klopfte Ayse bei ihrer Chefin an. Sorgfältig schloss sie die Tür hinter sich und breitete einen Stapel von Unterlagen vor Mechthild aus.
„Das ging ja schnell. Hast du etwas gefunden?“
„Leider nicht. Alles unbescholtene Bürger. Deutsche, Russen und Letten. Nichts dabei.“
Aber das entmutigte Mechthild nicht. „Ja, bei uns nicht.“ Sie zog ihre Freundin zu sich herüber an den Bildschirm ihres Computers. „Hier, die Internetseite der Kriminalpolizei in Riga. Sogar auf Englisch. Siehst du, die Mordkommission wird dort auch von einer Frau geleitet. Laima Neumane. Die rufen wir jetzt an und fragen sie mal, ob sie etwas über unsere Passagiere weiß.“
„Sprichst du denn genügend Englisch?“ fragte Ayse.
„Ich kann es ja mal versuchen. Wenn nicht, holen wir uns einen Dolmetscher.“
Mechthild wählte die Nummer ihrer Kollegin in Riga. Als Laima Neumane sich prompt meldete, versuchte Mechthild Kayser ihr Anliegen auf Englisch zu erklären. Dabei stellte sie fest, dass ihr doch so einige Worte fehlten und sie mit allerlei Umschreibungen versuchte, ihrer Kollegin ihr Ansinnen zu erläutern.
„Sie können ruhig Deutsch mit mir sprechen“, schallte es aus dem Hörer mit einem starken Akzent. „Ich habe vor meinem Eintritt in die Polizei hier Deutsch studiert.“
Mechthild war erleichtert. Sie war schon drauf und dran einfach wieder aufzulegen, so sehr hatte sie sich verhaspelt. Sie erklärte, wer sie war und um welchen Fall es gehen würde. Dann bat sie ihre Kollegin, alle Personen auf den Passagierlisten zu überprüfen. Laima Neumane hatte keine Probleme damit, auf diesem direkten Wege der Polizei in Bremen unterstützend zur Seite zu stehen. Bremen und Riga waren seit vielen Jahren Partnerstädte, und die Zusammenarbeit hatte viele Früchte in der Hauptstadt Lettlands getragen. Trotzdem verlangte sie, dass ihr ein offizielles Schreiben mit den Listen zugefaxt würde. Mit einem Lachen wies sie darauf hin, dass ja sonst jeder anrufen könnte. Mit freundlichen Worten beendeten die beiden Frauen ihr Telephonat. Mechthild fertigte an ihrem PC ein Anschreiben mit dem Briefkopf des Bremer Polizeipräsidiums an, und dann legte sie es zusammen mit den Daten aus den Passagierlisten auf ihr Faxgerät. Knarrend wurden die einzelnen Seiten eingezogen, und auf dem Display erschien das Sendezeichen.
Ayse bot Mechthild an, sie zum Mittagessen einzuladen, aber sie wollte im Büro verweilen, falls ihre Rigaer Kollegin sich melden würde. Sie wollte vermeiden, dass jemand anderes mit ihr sprach. Also zog Ayse ein wenig enttäuscht alleine los. Sie hätte sehr gerne ihre Freundin über ihr neues Verhältnis ausgequetscht. Sie war eben neugierig. Nicht nur von Berufs wegen.
Lange tat sich gar nichts in Mechthild Kaysers Büro. Sie schlug die Zeit tot, indem sie die vielen Hausmitteilungen der anderen Kommissariate des Polizeipräsidiums studierte und stellte fest, dass sie alle hier im Haus sehr viel zu tun hatten. Sie dachte daran, dass ihr Praktikant Harald Strehlow ihr berichtet hatte, dass sie nur zwanzig Studenten in seinem Jahrgang waren. Und die Politik produzierte ein Gesetz nach dem
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