Wille zur Macht
war, weil er glaubte, einen Agenten aus dem Osten entdeckt zu haben. Das Unternehmen war mit Rüstungsaufträgen befasst, und die Geheimdienste überwachten die damit beschäftigten Mitarbeiter. Nachdem dieser Ingenieur entlassen worden war, wurde mehrmals bei ihm eingebrochen, aber nie etwas entwendet. Er behauptete sogar, dass man versucht hatte, ihn umzubringen. Einmal waren die Radmuttern an seinem Auto gelöst worden, ein anderes Mal versuchte ein Fahrzeug ihn von der Bundesstraße zu drängen. Die Rückfragen der ermittelnden Polizeibeamten beim Verfassungsschutz ergaben, dass der Ingenieur als psychisch krank galt und sich alles ausdenken würde. Deshalb war er auch seinen Job losgeworden, da er für den Sicherheitsbereich nicht mehr als zuverlässig eingestuft werden konnte.
„Das ist doch klar, dass so einer nicht an geheimen Projekten arbeiten darf.“
„Das schon“, entgegnete Mechthild. „Aber einige Jahre später wurde in der Firma dieser Spion verhaftet. Die Geheimdienste wollten ihn nach den Hinweisen des Ingenieurs aber länger beobachten, um auch noch an andere heranzukommen. Und dabei störte dieser gute Mann nun mal.“
Ayse schaute bedrückt ihre Freundin an. „Der arme Kerl. Das meintest du also mit deinen sogenannten höherwertigen Zielen.“
Mechthild nickte. „Aber jetzt müssen wir uns unseren Verdächtigen aus Lettland vorknöpfen. Und dann sehen wir weiter. Da Strehlow nun eine andere Aufgabe hat, wirst du mit mir die Vernehmung machen.“ Obwohl Ayse schon damit gerechnet hatte, freute sie es. Einem Mordverdächtigen gegenüberzusitzen, ihn durch die Mangel zu drehen und zu überführen. Das befriedigte sie ausgesprochen.
Die Mittagszeit war schon angebrochen, als Mechthild und Ayse die Haftanstalt in Oslebshausen erreichten. Vorab hatten sie telephonisch die Vernehmung von Bruninieks angekündigt und ein Vernehmungszimmer reserviert. Am Tor wiesen sie sich mit ihren Dienstausweisen aus und gaben ihre Waffen ab. Anderen Besuchern war es nicht gestattet, aber sie durften ihre Mobiltelephone behalten.
Sie passierten die Sicherheitsschleuse und gingen über den hinter der Mauer gelegenen Hof zum Haus III, in dem die Untersuchungshäftlinge eingesperrt waren. Das gesamte Gefängnis galt als zu alt und sanierungsbedürftig. Was sowohl die Technik anbelangte als auch die humanitäre Unterbringung der Insassen. Der alte Backsteinbau war im Jahre 1874 in Anlehnung an den gotischen Stil errichtet worden. Alle Gebäude wurden vom Turm der alten Anstaltskirche überragt.
Mechthild und Ayse setzten sich auf die eine Seite des abgenutzten, hölzernen Tisches des Vernehmungszimmers. Ihnen gegenüber befand sich nur der Stuhl für den Verdächtigen Bruninieks. Sie legten ihre Unterlagen zurecht und warteten darauf, dass die Stahltür mit dem Guckauge geöffnet wurde und sie das erste Mal Auge in Auge mit Bruninieks Kontakt aufnahmen. Aber nichts geschah. Nach zwanzig Minuten ging Mechthild zu dem an der Wand befindlichen Telephon, das einen direkten Kontakt mit dem Aufsichtspersonal herstellte, und fragte nach, wo Erglis Bruninieks bleiben würde. Der Beamte am Ende der Leitung war sehr aufgeregt. „Ich weiß auch nicht, es ist irgendetwas passiert. Ich melde mich gleich wieder!“
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Tür zum Vernehmungszimmer geöffnet wurde. Herein kam nicht der Verdächtige, sondern ein Vollzugsbeamter. Begleitet von einem Anstaltsarzt.
„Es tut mir leid“, begann der Beamte und nestelte an der grauen Krawatte seiner Uniform herum. „Herr Bruninieks ist tot. Selbstmord.“
Mechthild sah ihn entgeistert an. „Das kann doch nicht wahr sein! Stand er denn nicht unter Beobachtung?“ schnauzte sie vorwurfsvoll.
Hilfesuchend sah sich der Beamte zu dem Anstaltsarzt um. Der hatte seine Hände straff in den Taschen seines Kittels stecken. „Das konnte keiner verhindern. Der Insasse hat sich vergiftet. So wie es roch mit Zyankali. Vielleicht hatte er eine Giftkapsel dabei.“
Mechthild ließ sich entmutigt auf ihren Stuhl sinken.
„Ja, verdammt noch mal, haben Sie ihn denn nicht durchsucht?“ ereiferte sich nun auch Ayse.
„Selbstverständlich!“ erwiderte der Beamte, dem die Sache ausgesprochen unangenehm war. „Aber wir hatten nichts bei ihm gefunden.“
„Und hatte er irgendwelche Kontakte? Beim Hofgang oder woanders?“
„Nein, nein“, versuchte der Vollzugsbeamte Ayse zu beschwichtigen. „Wir sind genau nach Vorschrift vorgegangen. Er war als
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