Willi von Bellden (German Edition)
versuchen«, versprach er und trollte sich davon. Seine Leine war erheblich länger als meine, doch kurz vor der Tür hatte er seine Grenze erreicht. Unauffällig zog er ein wenig und tatsächlich, Anny machte im Gespräch mit der jungen Dame, die wie ein Pudel aussah, einen Schritt in seine Richtung.
Bravo, dachte ich anerkennend, der Junge hatte es echt drauf. Er wusste anscheinend, wie man seinen Spielraum erweitert.
Jetzt trennten ihn nur noch wenige Zentimeter von diesem Zeitungsausschnitt, über dessen Brisanz ich immer noch völlig im Unklaren war. Doch das würde sich hoffentlich gleich ändern, dachte ich und konnte meine Neugier nicht länger verbergen.
»Mach schon!«, spornte ich ihn an. Basko war nun auch auf uns aufmerksam geworden und sah uns mit fragendem Blick an.
Ich erklärte ihm knapp die Sache mit dem Zeitungsausschnitt und den zwei Männern, danach waren wir schon zu zweit, was die Ungeduld betraf.
Man konnte fast dabei zusehen, wie Sammy langsam, aber beharrlich an der Leine zog. Anny plapperte und plapperte mit Moni, gab Zentimeter für Zentimeter nach, doch just in dem Augenblick, als Sammy den Zeitungsball schon mit der Nase berühren konnte, zog Anny ihn mit einem kraftvollen Ruck zurück.
»Sammy! Was soll dieses Ziehen?«, rief sie meinem neuen Kumpel erbost zu und nahm die Leine so kurz, dass er nun dicht neben ihr stehen musste.
»Sitz!«, wies sie ihn an, und als er dies auch brav tat, streichelte sie ihn stolz und widmete sich wieder ihren Gesprächen. Der Einzige, der jetzt noch Gelegenheit hatte, diesen Papierball zu bekommen, war Oskar. Doch die Chance, erwischt zu werden, war groß. Wenn ihm jemand diese Zeitung aus dem Maul holen würde, dann würde sie mit hundertprozentiger Sicherheit im Mülleimer landen, also für mich unwiderruflich verloren sein.
»Oskar! Komm mal her!«, bellte ich ihm leise zu. Basko und Sammy beobachteten fasziniert, wie mein Sohn auf tollpatschige Weise versuchte näher zu kommen. Mal zog er zu doll an der Leine und wurde zurückgeworfen, oder er überschlug sich fast. Doch schließlich stand er freudig hechelnd vor mir, und ich gab ihm erste Anweisungen. Motiviert und überaus glücklich, einen solchen Spezialauftrag bekommen zu haben, machte sich Oskar sofort an die Arbeit. Er raste in Richtung des Papierballs, wegen der hohen Geschwindigkeit drehten seine Krallen durch, und schon lag mein Sohn wieder auf der Nase. Einige umstehende Leute lächelten und gingen sofort auf die Knie, um ihn zu liebkosen. Dies genoss Oskar in vollen Zügen. Ich musste ihn dreimal rufen, damit er sich an seinen ursprünglichen Spezialauftrag erinnerte. Nach einer Viertelstunde und sechs Anläufen hatte er endlich dieses Ding im Maul. Überschwänglich rannte er auf mich zu und warf es mir direkt vor die Pfoten, wobei ich im ersten Moment so etwas wie Ekel vor diesem triefenden Etwas empfand. Doch Basko schaute mich unverwandt an, was wohl so etwas wie einer stillen Aufforderung gleichkam. Ich seufzte und setzte meine Pfote darauf, um das Papier mit der Schnauze auseinanderzupflügen. Als mein Blick auf das nasse, an allen Ecken eingerissene Papier fiel, musste ich tief Luft holen, um nicht dem Schock zu erliegen, der mich gerade ereilte. Mit einem Satz war Basko neben mir. Seine Augen streiften zuerst das Bild, das sich ihm darbot, dann die meinen. Es war der Artikel über die Verurteilung von Maxime Martin, der Revision gegen das Urteil angekündigt hatte, und stattdessen seine Noch-Ehefrau Chloe Martin beschuldigte, die Tat begangen zu haben. Eben der Artikel, den Tanner im Archiv der Zeitung gefunden hatte.
»Sie war hier! Chloe Martin hat sich aus unbekanntem Grund genau hier an diesem Ort aufgehalten! Wahrscheinlich hat sie diese zwei Männer aufgesucht und sie um irgendetwas gebeten, was wir schnellstens herausfinden müssen!«, überlegte ich laut.
Basko stand immer noch an derselben Stelle und schien krampfhaft nachzudenken, während Sammy uns von hinten fragende Blicke zuwarf.
»Nachher!«, bellte ich. »Nachher werde ich euch alles genau erklären!«
Einige Stunden später lagen wir zu dritt auf der Matte in unserem Mobile Home. Die gesamte Familie war zum Feiern bei Bernhard und Moni drei Mobile Homes weiter rechts. Das Lachen der Kinder und Erwachsenen tönte von draußen herein, während wir drei »Alten« eng beieinanderlagen, um endlich die Hintergründe des Zeitungsballs zu erörtern. Obwohl Oskar nach dem Spaziergang todmüde gewesen war und
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