Willi von Bellden (German Edition)
Zwei Meter neben mir und doch unerreichbar lag das Blatt der Zeitung, die mein Herrchen aus unerklärlichen Gründen mit sich herumgetragen hatte. Bestimmt war es eine Kopie, die er sich im Archiv der Zeitung gemacht und in seiner Hosentasche vergessen hatte. Ich wollte soeben Basko davon unterrichten, als einer der Männer, die mir schon zuvor aufgefallen waren, sich danach bückte. Verzweifelt schaute ich mich um. Tanner war ganz und gar in den Genuss der kulinarischen Spezialitäten vertieft, Basko in die Scheibe Wurst unter dem Stehtisch, und Anny war weit und breit nicht zu sehen. Mist, dachte ich und knurrte vor Ärger leise auf.
Interessiert las der Mann mit dem Hut, den er tief in seine Stirn gezogen hatte, den Zeitungsausschnitt in seiner Hand. Neugierig trat sein Kumpel näher. Er war mit einer furchterregenden Narbe über der rechten Wange und einem Schnurrbart ausgestattet, auf den Humphrey Bogart neidisch gewesen wäre.
Als sein Blick auf das Papier fiel, veränderte sich schlagartig sein Gesichtsausdruck. Erschrocken wich er einen Schritt zurück, wobei er den Hutträger automatisch am Arm anstieß. Der wiederum knüllte die Zeitung mit aller Gewalt in seiner Faust zusammen.
»Sie ist es!«, raunte Narbengesicht auf Französisch zu Hutträger hinüber.
Der nickte und steckte sich eine dünne braune Zigarre in seinen Mundwinkel. Er zündete sie nicht an.
»Nicht zu verkennen mit ihrem süßen Gesicht und dem prallen Hintern. Sie mal einer an! Da schneit Madame ganz unschuldig bei uns rein, bittet uns um einen Gefallen, und wir schmelzen nur so dahin. In Wirklichkeit ist sie weder unschuldig noch besonders nett. Nein. Sie ist in nichts anderes als einen Mord verwickelt!«, knurrte der Hutträger mehr zu sich selbst als zu seinem Freund, dem Narbengesicht. Ich musste alle meine Französischkenntnisse zusammenkratzen, um sie halbwegs verstehen zu können.
»Wir müssen ... und zwar schnell!« Narbengesicht nickte mit dem Kopf in Richtung des Ausgangs.
Sosehr ich mich auch anstrengte, die weiteren Worte konnte ich akustisch nicht mehr verstehen. Anny war mit der ganzen Meute hereingekommen, und alle hatten lautstark im selben Augenblick aufeinander eingeredet.
Narbengesicht wandte sich zum Gehen. Hutträger folgte ihm auf dem Fuß. Bevor sie aus der Halle hinausgingen, konnte ich noch erkennen, wie der mit der Narbe den Papierball unauffällig in den Behälter neben der Tür warf, der jedoch sein Ziel verfehlte und an die türkis getünchte Wand kullerte, direkt neben ein Regal mit den unterschiedlichsten Konfitüren, die alle appetitlich hergerichtet waren.
Ich musste unbedingt dieses Stück Zeitung in meinen Besitz bringen, dachte ich verbissen und hielt Ausschau nach einer Gelegenheit. Doch das war leichter gewünscht als getan, wenn man an einer Leine hing, die in den starken und unerbittlichen Pranken seines Herrn und Gebieters felsenfest ruhte.
Oskar hatte es da schon besser. Ohne dass es ein bewusster Vorgang war, ließ Anny sich beim Betrachten und Kosten der einzelnen Delikatessen von Oskar und Sammy leiten. Zogen die Hunde nach rechts, gab Annys Arm automatisch nach, zogen sie nach links, ließ Anny ihnen einen gewissen Spielraum und folgte ihnen auf diese Weise.
Mir kam eine Idee.
»Sammy!«, knurrte ich so leise, wie es möglich war, damit mein Boss nicht auf mich aufmerksam wurde. Doch der sprach gerade angeregt mit Jörg und Bernhard über die Kanutour, die sie in den nächsten Tagen unternehmen wollten. Jeder von ihnen hielt ein kleines Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der Hand.
An einem der hinteren Stehtische, in der Nähe einer bunt dekorierten Cocktailbar, an der sich Moni und die Kinder ausbreiteten, wuselte Sammy herum, die Nase dicht am Boden. Hier und da schlabberte er etwas mit seiner Zunge auf, was ihm außerordentlich gut zu schmecken schien, denn er machte einen zufriedenen Eindruck.
»Hey Sammy!«, bellte ich noch einmal. Für einen Moment schaute Sammy sich orientierungslos um, bis er mich entdeckte.
Freudig kam er so weit näher, wie es die Länge seiner Leine zuließ.
»Kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragte ich verschwörerisch, was seine Augen sofort aufleuchten ließ.
»Du musst mir diesen Papierball besorgen, der dort an der Wand liegt«, raunte ich ihm zu. »Dieser Knäuel ist wichtig, es geht um Leben oder Tod.«
Sammys Augen weiteten sich zusehends. Er schluckte sichtbar, bevor er antwortete.
»Ich werd mein Möglichstes
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