Willi von Bellden - Wer anderen eine Grube gräbt ... (German Edition)
hatte ich noch nie gesehen!
Ich zwang mich kein Geräusch zu machen, und mich vor allem nicht zu bewegen. Aber selbst, wenn ich hätte fortlaufen wollen, es wäre mir nicht gelungen. Zu tief saß der Schock in mir. Also zitterte ich so kontrolliert ich konnte.
Es dauerte unendlich lange, jedenfalls kam es mir so vor, bis dieser Wahnsinnige eine Art Taschentuch aus seiner blutgetränkten Jacke zog, um sich damit das Gesicht abzuwischen. Sein Gewehr legte er nicht aus der Hand.
Der Dobermann saß immer noch unbeweglich auf seinem Platz. Der Mann nahm danach die Leine wieder auf, und sofort stellte sich sein blutrünstiger Partner auf die Pfoten.
Dann verschwanden sie fast so schnell, wie sie gekommen waren.
Ludos wehrte sich noch einige Meter. Er wusste, dass ich da war, aber sein Herr zog ihn, Bello sei Dank, unerbittlich mit sich fort.
Ich wartete noch einige Minuten bis sich mein Puls wieder beruhigt hatte und meine Beine mir wieder gehorchten. Erst dann traute ich mich aus dem Unterschlupf.
Den Anblick des zerfleischten Rehs ersparte ich mir. Stattdessen rannte ich nach Hause als sei der leibhaftige Teufel hinter mir her. Und es war mir diesmal völlig egal, ob mich jemand aus dem Dorf sah.
Immer noch zutiefst aufgewühlt über das, was ich erlebt hatte, kringelte ich mich sofort in mein Körbchen. Erst etliche Minuten später fiel die Angst von mir ab, und ich sank in einen ruhelosen Schlaf.
Als Tanner gegen drei nach Hause kam, hätte ich ihn am liebsten umarmt, wäre auf seinen Schoß gesprungen und hätte mich dort eingekuschelt, bis alle bösen Gedanken verschwunden wären.
Doch vermutlich hätte er mich für durchgedreht gehalten und an die frische Luft gesetzt.
Deshalb freute ich mich einfach nur ein wenig mehr wie sonst, was meinem Herrchen auch zu gefallen schien.
„Willi, was ist denn heute mit dir los? Hast du dein altes Herrchen etwa so sehr vermisst? Ja, ja beim nächsten mal bist du wieder dabei!“
Leider konnte ich ihm nicht antworten. Jedenfalls nicht so, dass er mich verstand. Sonst hätte ich nichts lieber getan, als ihm von dem Vorfall im Wald zu erzählen.
Was ich gesehen hatte, war wider die Natur! Sowohl die Taten des Mannes, als auch die des Dobermanns waren abnormal. Das hatte mit normalem, zivilisiertem Verhalten nichts zu tun, welches man von einem Menschen, aber auch von einem Hund erwarten durfte. Schließlich sind wir Hunde seit mehr als 20000 Jahren die treusten Begleiter des Menschen, und längst in der Zivilisation angekommen.
Diese beiden da im Wald waren wilde Wölfe!
Tanner wärmte sich eine Dosensuppe, um sie mit Heißhunger zu verschlingen. Währenddessen zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ihn auf die abscheuliche Tat aufmerksam machen konnte. So etwas durfte nicht unentdeckt bleiben. Wer konnte schon wissen, was dieser Unmensch und sein vierbeiniger Helfer sonst noch so anstellten. Den beiden würde ich jede Perversität zutrauen!
Als er beim Kaffee angelangt war, kam mir die zündende Idee. Ich könnte Tanner beim nächsten Spaziergang zu dem Reh führen, dann musste er doch etwas tun!
Also baute ich mich vor meinem Herrchen auf, fing leise an zu miefen, und lief dabei immer wieder zur Tür. Das musste doch irgendwie funktionieren! Doch er schaute nur kurz von der Zeitung auf, die er gerade las. Dann verstärkte ich meine Bemühungen und bellte zaghaft. Das brachte mir ein Stirnrunzeln ein und ein genervtes „Willi!“. Ich wiederholte es immer und immer wieder. Irgendwann, so hoffte ich, müsste er doch begreifen.
„Jetzt reicht’s mir aber Willi! Bist du komplett verrückt geworden? Wenn du raus musst, dann geh! Die Tür ist offen!“
Ich blieb vor ihm stehen und bellte, so laut ich konnte. Einmal. Zweimal. Dreimal!
Und Hopp! Mit einem Ruck stand Tanner auf, zog mich am Halsband zur Terrassentür, und mit einem eleganten Schwung war ich draußen.
„Jetzt ist es aber genug, du willst es ja nicht anders!“
Peng! Die Tür war zu!
Prima, das hatte ich nun davon! Die Gelegenheit war vertan, und ich stand in der Kälte.
Soviel zu Kommissar Rex. Dort funktionierte so etwas immer. Aber im wirklichen Leben lief manches anders, wie ich gerade eben am eigenen Leib erfahren durfte.
Zu allem Überfluss fing es auch noch an zu regnen, so dass ich mit eingezogenem Schwanz ins Spielhäuschen der Kinder fliehen musste.
Ich stand dort noch nicht lange, da lief Basko über die Wiese, auf die Terrassentür zu.
„Heh!“, rief ich aus meinem Unterschlupf.
Weitere Kostenlose Bücher