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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frayn
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war schwer, nicht zu reagieren, wenn einem jemand mit offenen Augen im Abstand von einem halben Meter ins Gesicht starrte.
    »Mein Gebiet ist die Finanzierung von Forschung«, sagte er. »Darüber schreibe ich Bücher und Artikel. Ich berate Regierungen und die UNO. Nur weil Sie gefragt haben.«
    Er schaute eine Weile in die Landschaft, doch sie sah ihn weiterhin erwartungsvoll an.
    »Forschung ist sehr teuer«, sagte er. »Jemand muss empfehlen, welche Forschungsvorhaben gefördert werden sollen. Wahrscheinlich meinen Sie, dass Wissenschaftler plötzlich Geistesblitze haben oder in ihrer Garage Experimente mit zwei Blechdosen und einem Stück Schnur machen oder Sachen entdecken, nach denen sie nicht gesucht haben.«
    Sie stritt es nicht ab.
    »Aber Wissenschaftler sind kein Haufen verrückter Professoren«, sagte er. »Sie sind rationale Menschen, so wie Sie und ich, die rationalen menschlichen Aktivitäten nachgehen, die wiederum rationalen menschlichen Beschränkungen unterliegen. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung sind wissenschaftlich messbar. Dafür haben wir eine Disziplin entwickelt. Sie heißt Szientometrie. Und auf Grundlage der Szientometrie kann Wissenschaft gemanagt werden.«
    »Das ist Ihr Vortrag, stimmt’s?« sagte sie. »Ich kann verstehen, warum Sie nicht wollen, dass die Leute ihn verpassen.«
    In seinem Gehirn waren erneut die zwei verborgenen Leberflecken aufgetaucht, und um sie wieder zum Verschwinden zu bringen, sprach er weiter.
    »Das ist eigentlich nicht mein Vortrag«, sagte er. »Ich gebe Ihnen ein bisschen Privatunterricht. Ich möchte Ihnen nur zu Ihrem eigenen Nutz und Frommen erklären, dass die Vorstellung mancher Leute von Wissenschaftlern und wissenschaftlicher Forschung völlig falsch ist. Natürlich haben Wissenschaftler manchmal Heureka-Erlebnisse, und natürlich gelangen sie manchmal zu wichtigen Ergebnissen, nach denen sie nicht gesucht haben. Aber das ist alles rational erklärbar. Man findet immer eine klare Kausalkette, wenn man danach sucht. Wenn die Lösung eines Problems plötzlich in jemandes Gehirn Klick macht, dann deshalb, weil er schon lange darüber nachgedacht hat. Er weiß, dass es ein Problem gibt, das nach einer Lösung verlangt, so wie Sie wissen, dass es in einem Puzzle eine leere Stelle gibt, die nach dem passenden Teilchen verlangt. Wissenschaftler sind keine Dichter! Aber auch Dichter sind nicht irrational. Nicht, dass ich viel über Dichter wüsste, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie denselben Gesetzen der Kausalität wie alle anderen auch unterliegen. Sie finden Worte für Lücken im Markt, sonst machen sie kein Geschäft, wie alle anderen auch.«
    »Faszinierend«, sagte sie. »Und das haben Sie sich alles einfach ausgedacht, Wilfred?«
    Er wollte zustimmen, doch dann sah er die Falle, in die er geführt werden sollte.
    »Nein«, sagte er. »Ich habe es mir nicht einfach ausgedacht. Es ist das Ergebnis von Lektüre und Beobachtung, die wiederum von meinem Gehirn verarbeitet wurden. Und die Strukturen meines Gehirns sind nicht durch meine Anstrengungen geprägt, sondern durch mein genetisches Erbe. Man könnte dieses Erbe durch die Generationen zurückverfolgen und herausfinden, wie es allmählich durch den selektiven Druck auf meine Vorfahren geformt wurde. Und man kann noch weiter zurückgehen zu den Strukturen der Zellen, aus denen diese Vorfahren bestanden, und dann zu der organischen Chemie, die das Material der Zellen ist. Dann zur anorganischen Chemie, aus der die organische entstanden ist. Weiter zurück zu den Elementarteilchen, deren physische Eigenschaften die Chemie bestimmen. Zurück zur Strahlungsenergie, die sich zu den Teilchen verdichtet. Weiter, weiter, weiter zurück bis zu dem winzigen Objekt, das laut einigen Kosmologen einen Durchmesser von nur ein paar Millimetern hatte und vor 13,7 Milliarden Jahren der Ursprung von allem im Universum war.
    Alles, was ich getan habe, war, zuzulassen, dass die Ereignisse ihren Lauf nahmen. Ich habe mein Erbe einfach angenommen. Ich habe natürlich auch hart gearbeitet. Ich hätte herumspielen und mein Leben verplempern können. Ich habe mich aber dafür entschieden zu arbeiten. Doch dieser Entschluss war wie alles andere vorherbestimmt.«
    Der Blick, mit dem sie ihn nach wie vor unverwandt ansah, war jetzt, wie er bemerkte, etwas geistesabwesend. Ihr Interesse an dem Thema schien erschöpft zu sein.
    »Das einzige Problem ist, Wilfred«, sagte sie schließlich, »dass Sie sich, so

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