Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
nicht«, sagte er. »Ich will ihn nicht halten. Ich will ein neues Leben anfangen.«
»Los jetzt«, sagte sie und schubste ihn zum Taxi. Er beugte sich vor, um einzusteigen, richtete sich im letzten Moment wieder auf, um sie zu küssen, genau in dem Augenblick, als sie sich plötzlich vorneigte, um ihn zu küssen, so dass sie mit der Stirn zusammenstießen.
»Ich wette, das haben Sie auch vorhergesehen«, sagte sie und rieb sich den Kopf.
Fünf T-Shirts lagen ordentlich zusammengelegt auf dem Tisch neben dem Bügelbrett. Annuka nahm den Stapel und drückte ihn gegen ihre Wange. Sie waren weich, sie waren warm. Sie fühlten sich gut an. Allerdings rochen sie noch fremd; wo hatte er sie waschen lassen? Jetzt, da sie sie anschaute, erinnerte sie sich an keins der Logos darauf; wo hatte er sie gekauft?
Sie hielt zwei Hosen in die Höhe. Es besänftigte sie, dass seine Beine kürzer waren, als sie sich erinnerte.
Ja, dachte sie, während sie die Hosen bügelte, wie hatte sie sich nur mit ihm einlassen können? Es war auf einer Party gewesen. Bei Vaclav und Bianchetta. Es war unheimlich laut gewesen, unmöglich zu verstehen, was die Leute sagten. Und dann waren aus dem Lärm und der Dunkelheit dieses schiefe Lächeln und eine Handvoll blondes Haar aufgetaucht, das aus sanften braunen Augen gestrichen wurde. Während sie sich unterhielten, gewann sie irgendwie den Eindruck, dass er ein Buch über die Geschichte Tibets im sechzehnten Jahrhundert schrieb.
Und er hatte überhaupt kein Aufhebens davon gemacht.
Georgie streckte sich wieder auf der Liege aus. Die Sonne sank bereits, aber zumindest musste sie sich jetzt nicht mehr bedecken.
Ein leiser Hunger auf die nächste Mahlzeit schlich sich ein. Sie hätte mit Wilfred fahren sollen, dachte sie, zumindest bis zum nächsten Supermarkt. Oder ihn bitten, unterwegs etwas zu kaufen und es ihr zu bringen. Sie wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass Oliver nicht kommen würde. Was um alles in der Welt sollte sie tun?
Plötzlich meinte sie, etwas im Haus zu hören. Schritte … Nein. Nichts. Oder …? Nein.
Sie spürte, wie sich trotz der Hitze und des hellichten Tages eine Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete. Es würde bald Nacht. Und sie würde sie hier allein verbringen müssen.
31
Wilfred lag auf dem Bauch im weichen Gras und betrachtete seine Hände, die im Fluss vor ihm trieben. Seine Finger bewegten sich leicht im Rhythmus der Wasserpflanzen. Ja, da war die Forelle, träge schwamm sie zwischen den Pflanzen hin und her. Er sah zu, wie sie näher und näher kam. Er spürte ihre kalten Schuppen an den Fingern, spürte, wie es ihn kitzelte. Und dann, wusch! War sie in seiner Faust! Über seinem Kopf! Im Kescher, den er aus Schlingpflanzen improvisiert hatte! In der heißen Asche des Ofens! Auf dem Tisch unter den Sternen! Auf der Gabel, die er zu ihren lächelnden Lippen führte …
»So«, sagte Stavros und blickte auf den Koffer neben sich, während das Taxi über die ungeteerte Bergstraße rumpelte, »Flughafen?«
Georgies lächelnde Augen funkelten im Kerzenlicht. Sie kam ihm immer näher. Die Forelle war aus dem Bild verschwunden. »Ja?« flüsterte sie.
»Ja«, sagte Wilfred. »Ja. Ja!«
»Kein Problem«, sagte Stavros.
Kein Problem. Langsam kehrte Wilfred in die Wirklichkeit zurück. Stavros. Natürlich. Taxi. Und er war nicht Wilfred, der unter den Sternen eine selbstgefangene Forelle mit Georgie aß, sondern Dr. Wilfred, unterwegs zur Fred-Toppler-Stiftung, um den Fred-Toppler-Vortrag zu halten.
Sie holperten den Berg hinunter. In den Haarnadelkurven wurde er nach rechts und links geworfen, in den Schlaglöchern nach oben und unten; vermutlich wurde er schon so durchgerüttelt, seitdem sie losgefahren waren, aber er war zu sehr mit der Forelle beschäftigt gewesen, um es zu bemerken. Jetzt, da er sich seiner Umgebung bewusst war, spürte er, dass seine Kleidung in der kühlen Luft der Klimaanlage merklich feuchtkalt an ihm klebte.
Er zerrte seinen Koffer vom Vordersitz nach hinten. Er hatte etwas unterschwellig Fremdes. Und noch bevor er den Adressanhänger gelesen hatte, wusste er mit plötzlicher dumpfer Gewissheit, was daraufstand. Nicht Dr. Norman Wilfred. Es stünde das darauf, was gestern schon daraufgestanden hatte.
Ja. »Annuka Vos«.
Natürlich. Selbstverständlich. Sie hatten ihm denselben Koffer bringen lassen. Den falschen Koffer. Den Koffer des Transvestiten.
Und plötzlich traf ihn ein schwarzer Blitzschlag. Seit seiner
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