Willkommen im Totenhaus
die Gräser in Bewegung und endeten mit einem leisen Klatschen dort, wo es trockener wurde.
Ich war an der Ecke stehengeblieben. Vor mir schob sich die Plattform über das Ufer des Sees hinweg. Darunter lag der Schilfgürtel, und das Ende der Plattform ragte ins Wasser.
Das war etwas für Angler, aber kein Bootshaus. Damit hatte ich eher gerechnet. Ich schaute hinunter und sah den alten Kahn oder Nachen, der festgetäut an einem der Pfosten war.
Auch an der Vorderseite gab es keine Fenster. Aber eine Tür, deren Metallklinke feucht glänzte. Natürlich war meine Neugierde geweckt. Ich mußte es jetzt einfach versuchen. Auch wenn die Bude hier so leer erschien, ob sie es tatsächlich auch war, wagte ich zu bezweifeln.
Ich ging auf die Tür zu.
Griff nach der Klinke.
Berührte sie.
Alles war normal, dennoch stand ich auf einmal unter Strom und kam mir vor, als liefe die Zeit, in der ich stand, langsamer ab.
Es hing auch damit zusammen, daß ich etwas aus dem Innern des Bootshauses gehört hatte.
Das Weinen eines Kindes!
***
Scheiße auch!
Der Gedanke mußte einfach raus, und ich formulierte ihn als halblauten Fluch. Dabei wünschte ich mir, mich geirrt zu haben, was leider nicht der Fall war, denn das Kind weinte weiter. Es war kein normales Weinen. Das hörte ich hervor, auch wenn ich selbst keine eigenen Kinder besaß.
Natürlich dachte ich an die beiden verschwundenen Kinder, nach denen gesucht wurde. Ob man diese Hütte bisher noch nicht gefunden und durchsucht hatte, wußte ich nicht. Möglicherweise waren die Kinder auch später hergebracht worden.
Es war kühl, trotzdem schwitzte ich. Das Weinen hatte einen heißen Strom in meinem Innern hochfahren lassen und mein Gesicht zum Glühen gebracht. Ich bedauerte es noch stärker, kein Fenster entdeckt zu haben. Durch das Schlüsselloch zu schauen, konnte ich mir ersparen. Viel würde ich nicht zu sehen bekommen.
Ich mußte warten.
Das Weinen war verstummt.
Dafür hörte ich ein anderes Geräusch.
Tritte!
Die aber stammten nicht von einem Kind, denn ein junger Mensch trat nicht zu schwerfällig auf. Für mich bestand kein Zweifel, daß sich zumindest ein Kind und ein erwachsener Mensch im Kaum hinter der Tür aufhielten.
Das Kind weinte wieder. Nein, es greinte, auch das hörte sich schwach an. Dazwischen war ein Stimme zu hören. Eine tiefe, leicht brummige Männerstimme, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte.
»Wenn du jetzt nicht aufhörst, Kleine, dann schneide ich dir sofort die Kehle durch. Ich habe dir versprochen, daß deine Schwester, du und ich noch in dieser Nacht zusammen spielen werden, und ich möchte mein Versprechen halten. Wer hat euch denn die Süßigkeiten gekauft und auch die beiden Puppen? Wer denn?« Jetzt sprach der Erwachsene mit schon greinender Stimme. Fehlte nur noch, daß er anfing zu heulen.
Mir war ganz anders geworden. Ich hatte mich innerlich in eine Eissäule verwandelt. Schon die wenigen gehörten Worte hatten ausgereicht, um in den Fall einzusteigen.
Ich glaubte nicht mehr daran, daß die beiden Mädchen von einem dämonischen Wesen entführt worden waren, wie manche es angenommen hatten, nein, sie waren sicherlich von einem Kranken geholt worden. Von einem Psycho- und Soziopathen, der sie zuerst wie Spielzeug benutzt und sie dann, wenn er ihrer überdrüssig wurde, sie wieder wegwarf, leider nicht mehr heil, sondern zerstört.
Ich zwang mich zur Ruhe. Es gab da einige Tricks. Tief ein- und dann tief ausatmen. Sich selbst unter Kontrolle zu nehmen. Nur nicht überstürzt reagieren, die Nerven bewahren.
Wichtig war die Tür. Hatte der Typ sie von innen abgeschlossen oder nicht?
Das mußte nicht sein, denn in dieser Hütte konnte er sich relativ sicher fühlen. Meine Chancen standen deshalb halbe-halbe. Ich startete einen Versuch und war dabei äußerst vorsichtig. Die feuchte Kälte der Metallklinke übertrug sich auf meine Hand, und ich sah auf ihrem Rücken die Gänsehaut.
Ruhig bleiben. Im Moment tat sich nicht viel hinter der Tür. Der Psychopath summte ein Kinderlied, das war alles.
Inzwischen hatte ich meine Waffe gezogen und hielt sie in der rechten Hand. Mit der anderen bewegte ich die Klinke in die Tiefe. Vorsichtig, sehr behutsam. Ich hoffte, kein Geräusch zu verursachen, das den anderen warnte.
Die Tropfen auf meiner Stirn bestanden nicht aus Regenwasser, sondern aus Schweiß. Licht brannte nicht in der Bude. Sein Schein wäre durch zahlreiche Lücken nach draußen gefallen.
Der
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