Willkommen im Totenhaus
jungen Mann tiefer in ihr Reich.
Der Boden war wie Gummi geworden. Dazu noch so weich, daß es nirgendwo einen Halt gab. Roys Kopf war bereits in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Erde hatte sich bis gegen seinen Mund geschoben und drückte bereits vor die Lippen.
Er schrie noch einmal.
Für Kelly wurde es zu einem der schrecklichsten Augenblicke, denn Roy war nicht mehr in der Lage, einen normalen Schrei auszustoßen. Aus seinem Mund drang ein gurgelndes Geräusch, denn die Masse war ihm bereits bis über die Zunge in den Hals gedrungen.
Kelly versuchte noch einmal alles. Sie stand hinter ihm und sah deshalb sein Gesicht nicht. Sie wollte es auch nicht sehen, denn auf seinen Zügen würde sich die Todesangst widerspiegeln. Und der Sog blieb in seiner Stärke erhalten. Selbst Kelly würde mitgesogen werden, wenn sie nicht losließ.
Sie wollte es nicht, sie mußte es. Es ging über ihre Kräfte. Längst war sie nicht mehr in der Lage, die Umgebung normal zu sehen. Dunkle Schattenfetzen tanzten vor ihren Augen. Produkte einer wahnsinnigen Anstrengung.
Es war ein Kampf des David gegen den Goliath, und sie konnte ihn nur verlieren. Die Hände rutschten an Roys Gelenken ab, denn seine Haut war noch glatter geworden.
Dann mußte sie loslassen. Es ging einfach nicht mehr. Mit einem Schrei der Verzweiflung auf den Lippen taumelte Kelly zurück. Sie war kaum mehr in der Lage, sich selbst auf den Beinen zu halten, drehte sich, stolperte dabei und fiel hin.
Auf dem Rücken blieb sie liegen. Den Mund hatte sie weit aufgerissen. Sie saugte den Atem keuchend ein. Noch immer hielt die Anstrengung sie im Griff. Vor ihren Augen bewegte sich die normale Welt. Sie selbst hatte dabei das Gefühl, in einer Zentrifuge zu sitzen und fortgeschleudert zu werden.
Nur allmählich kam sie wieder zu sich und schaffte es, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Umgebung kristallisierte sich hervor. Kelly drehte sich nach rechts und sah nichts mehr.
Nichts von Roy!
Keine Hand, kein Gesicht. Seine letzten Schreie hatte sie nicht mehr mitbekommen. Der eindringende, feuchte Lehm hatte sie einfach erstickt. Er war auf eine schreckliche Art und Weise gestorben. Allein die Vorstellung peitschte Schauer der Furcht durch den Körper der Frau. Sie lag auf der kalten Erde und dachte daran, daß es so sein würde, wenn man tot war.
Kalt und tot…
Kelly konnte nicht mehr. Über ihr schwebte der Dunst. Er rollte in dünnen Schwaden wie eine lautlos arbeitende Maschine, die alles schluckte. Dazwischen schoben sich die Gerippe der toten Bäume, denn eine Natur konnte auf dem Boden des Bösen nicht gedeihen. Hier war alles tot oder von einem Leben erfüllt, das diesen Namen einfach nicht verdiente.
Die Anstrengung hatte auch bei Kelly Spuren hinterlassen. Nur allmählich kam sie zu sich und nahm die Wirklichkeit wieder besser wahr. Sie wußte auch, daß sie verloren hatte. Die andere Macht war stärker gewesen, stärker als ein Mensch.
Kelly Kidman richtete sich auf. Ihre Glieder waren schwer geworden. Die Finger schmerzten, weil sie die Gelenke zu hart umschlossen hatte. Im Sitzen drehte sie den Körper nach links, und ihr Blick fiel auf das düstere Haus.
Nichts hatte sich dort verändert. Weder Suko noch John Sinclair waren zu sehen. Sie hatten das Haus betreten wie ein gewaltiges Grab, das sie nie mehr freigeben würde.
Kelly wälzte sich herum. Mit den Händen stützte sie sich ab, um besser aufstehen zu können. Trotzdem blieb sie nicht gerade stehen. Sie schwankte vor und zurück. Ihr Atem ging keuchend, und aus weit aufgerissenen Augen starrte sie dorthin, wo Roy Walker verschwunden war.
Nichts, gar nichts war dort zu sehen. Die Erde hatte sich über ihm geschlossen. Es gab keine Spur mehr. Nichts deutete darauf hin, daß noch vor wenigen Minuten der Kopf eines Menschen dort hervorgeschaut hatte.
Kelly näherte sich der Stelle. Sie tappte hin. Sie blieb dort stehen, wo sie vorhin gestanden hatte und noch die eigenen Fußabdrücke sah. Sie hatten sich tief in den Boden eingedrückt, als wollten sie Beweis für immer bleiben.
Sie schüttelte den Kopf. Dann holte sie aus und trat mit voller Wut gegen den Boden.
Es gab nur ein dumpfes Geräusch, mehr passierte nicht. Der Boden war weich, aber trotzdem fest. Er gab einfach nicht nach, die fremde Kraft hatte den großen Sieg errungen.
Kelly konnte nicht mehr stumm bleiben. Sie mußte einfach sprechen. »Roy, bitte… es… es… tut mir so verdammt leid. Ich war einfach zu schwach. Wo
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