Willkommen im Totenhaus
Hilfe.
»Ich werde dich herausholen«, flüsterte sie sich selbst zu, um sich Mut zu machen. »Du brauchst dich nicht zu fürchten. Wir schaffen es…«
Daß es noch zwei Personen gab, die das Haus betreten hatten, daran dachte sie nicht mehr. Sie war sogar froh, als sie die Treppe mit den drei flachen Stufen erreichte und endlich auf die Tür zuging. Das Haus hatte sie in seinen Bann gezogen. Kelly erlebte es aus nächster Nähe, doch es steckte keine Furcht mehr in ihr, auch wenn ihr Herz schneller schlug als gewöhnlich.
Das Lächeln blieb, als sie auch die zweite Stufe betrat. Die Hälfte hatte sie hinter sich. Es war nur noch ein einziger Schritt bis zum großen Ziel.
Sie konnte nur an Simon denken. Kelly stellte sich vor, daß er ihr entgegenkam und sich in ihre Arme warf, wenn sie die Tür aufstieß. Fr würde sie umfangen, sie würden jubeln, sie würden tanzen und das Haus verlassen. Und sie würden für immer zusammenbleiben. Da gab es dann nichts mehr, das sie trennte.
Der Schlag traf sie urplötzlich!
Er war nicht von einer Hand geführt worden. Sie hatte auch keinen Gegner in der Nähe gesehen. Trotzdem taumelte sie zur Seite und prallte gegen einen Verandapfosten, der ihr so weich vorkam und auch klebrig, denn sie hatte Mühe, sich von ihm zu lösen.
Kelly begriff nichts mehr. Sie wußte zwar, daß einiges nicht stimmte, doch sie kam damit nicht zurecht. Auch dann nicht, als die Treppe anfing zu schwanken und sich aufzulösen schien.
Hinter ihr klatschte etwas mit einem lauten Aufschlag zu Boden. Auf der Stelle drehte sie sich um und sah dabei den nächsten dicken Tropfen, der irgendwo von oben herabfiel und dicht neben der ersten Pfütze aufprallte.
Sie schüttelte sich. Eine innere Stimme warnte sie, aber die Sehnsucht nach Simon war stärker.
»Simon, ich komme zu dir!« rief sie gegen die Tür und ging den letzten Schritt.
Noch drückte sie die Tür nicht auf. Sie blieb für einen Moment dort stehen. Wie jemand, der auf irgend etwas wartet oder sich auf etwas konzentrieren möchte.
Im Haus war es nicht ruhig.
Geräusche drangen an ihre Ohren. Kelly war nicht in der Lage, sie zu unterscheiden. Für sie waren es Stimmen, die durcheinandersprachen und auch schrien.
Simon in Not?
Diese Vorstellung wischte ihre letzten Bedenken fort. Und so stieß Kelly Kidman die Tür zum Totenhaus auf…
***
Der Anblick war für uns deshalb so fürchterlich, weil wir nicht damit gerechnet hatten. Unsere Vorstellungen waren schon in eine bestimmte Richtung gelaufen, zumindest meine. Was sich da im konzentrierten Schein unserer Lampen bot, widersprach einfach allem, was man sich nur vorstellen konnte. Es war das absolute Grauen!
Es war zugleich der Herrscher des Totenhauses mit dem Namen Earl of Graystone, der möglicherweise ein Opfer des Hauses geworden war und nicht mehr so aussah wie ein Mensch.
In der Mitte des Eingangsbereiches hatte sich ein mächtiger Klumpen gebildet. Er war nicht rund, sah also nicht aus wie ein abgeschliffener Felsen, denn irgendwo hatte er schon Form erhalten. Er sah aus wie ein mächtiges Oval, das sich an seinem oberen Ende leicht verjüngte.
Eine Masse, die lebte!
Daran gab es keinen Zweifel. Sie war schwarz, sie glänzte, als wäre sie mit feuchtem Kohlenstaub bepinselt worden. Sie bewegte sich. Sie wurde von innen wie umgerührt. Sie schmatzte, sie schlürfte, sie floß zusammen und wieder auseinander, sie war einfach ungeheuerlich, denn sie dehnte sich immer weiter aus. Tote Materie, die mit einem unheilvollen Leben bestückt worden war und in ihrem Innern selbst weiterarbeitete.
Es gab nicht nur die Masse. Dieser Anblick hätte uns auch nicht so geschockt. Es waren vielmehr die zahlreichen Gesichter, die darin steckten. Schreckliche Fratzen auf der einen Seite, weil sie schon verwest wirkten und nur noch aus Knochen und Hautfetzen bestanden, normale Gesichter auf der anderen Seite, die zu Menschen gehörten, die noch nicht lange tot sein konnten.
Junge Gesichter!
Verzerrt. Aufgerissene Münder. Weite Augen. Bleiche Haut, wie sie nur Tote besaßen.
Kelly Kidman war mit drei Freunden hergekommen. Sie hatte auf die Mutprobe verzichtet, ihre Freunde nicht, und sie hatten dafür bezahlen müssen.
Die drei waren zu einem Opfer des Hauses geworden oder zu Opfern dessen, der über dieses Haus regierte, wachte, und der ihm seinen Stempel aufgedrückt hatte.
Der Earl of Graystone!
Er war der Besitzer gewesen. Er hatte die Menschen in das Totenhaus geholt, er war
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