Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
neue Leute kennenlernen. Ohne mich.«
Wie entschieden und autoritär das klingt, dachte ich erbost. »Ohne dich? Niemals. Wenn ich hingehe, kommst du mit«, verlangte ich und versuchte, einen ähnlich gebieterischen Ton anzuschlagen. »Wie willst du denn sonst rausfinden, ob ich deinen Befehl befolge? Und du kannst mich wirklich nicht zwingen, allein dort aufzukreuzen.«
»An diesem Abend arbeite ich an einer Verbesserung der innereuropäischen Beziehungen, Harrison, insbesondere zwischen Frankreich und England. Aber sei versichert, meine Spione sind überall, also vergiss es, falls du dich
da rauslavieren willst. Du hast versprochen, du würdest was ändern. Jetzt hast du eine Gelegenheit dazu. Ah, da ist meine nächste Kundin, ich muss Schluss machen.« Dann war die Leitung ebenso tot wie meine Hoffnung auf einen netten Abend.
Um a) unnahbar auszusehen und b) so, als hätte ich einen guten Grund, die Comedy-Show allein zu besuchen und wäre keine Idiotin ohne Freunde, habe ich mich verkleidet. Nicht auffällig, um Himmels willen, ich will ja anonym bleiben. Mein langes Haar ist zu einem Knoten hochgesteckt. Auf meiner Nase sitzt die Brille, die ich normalerweise nur an kontaktlinsenfreien Sonntagen benutze, und die mich ein bisschen wie eine Wissenschaftlerin aussehen lässt. Ein kleines Notizbuch in der Hand, möchte ich den Eindruck müden Gleichmuts erwecken und wie eine übersättigte Insiderin der Comedy-Szene wirken, die nur hier ist, um frisches Blut zu beurteilen. Ein Bleistiftrock, dezente Absätze und eine Bluse vervollständigen das Image einer effizienten, professionellen Journalistin/Kritikerin. Vermutlich denken die Leute, die mit mir Schlange stehen, »arrogante Bibliothekarin«. Einige werfen mir seltsame Blicke zu. Was mich nicht stört. Das tue ich nur, um Lulu zu beweisen, dass ich genauso spontan sein kann wie sonst jemand. Aber sie ist verrückt, wenn sie glaubt, ich würde hier mit irgendwem reden.
Wir drängeln uns in den Pub. Erstaunlicherweise liegt hinter der Fassade einer unscheinbaren Kneipe ein geräumiges Theater mit einer Galerie. Große Tische stehen vor einer richtigen Bühne mit Scheinwerfern und einem Mikrofon. Plötzlich bin ich stolz auf Dave, den Fahrradkurier. Das ist tatsächlich ein passender Rahmen für eine
Comedy-Show, kein zweitklassiger Pub, wie ich es mir vorgestellt habe. Bald wird mein Stolz aus lauter Sorge um Daves Fähigkeiten von heftigem Nervenflattern verscheucht, denn es sitzen mindestens zweihundert Leute da.
Und immer mehr strömen herein. Männer in Anzügen, die offenbar direkt vom Büro hierherkommen, bahnen sich einen Weg zu den vorderen Tischen, während andere schnurstracks die Bar im Hintergrund ansteuern. Dort gießt eine gestresste Kellnerin Bier in Plastikbecher. Ein paar weibliche Gäste sind mit Freunden oder Ehemännern erschienen. Ich sehe nicht viele Frauen, und die wenigen, die da sind, tragen ihre besten Jeans und schicke Tops. Deshalb fühle ich mich auffälliger denn je.
Als ich überlege, wo ich mich verkriechen soll, nuschelt eine Stimme in mein Ohr: »Aaaausgezeichnete Tarnung, Miiiisss Moneypenny.«
Genervt verdrehe ich die Augen, setze meine beste abweisende Miene auf und wende mich zu dem dreisten Kerl. »Verzeihen Sie bitte ... Oh! Dan!«
Lulus Zwillingsbruder grinst mich an und streicht durch sein schwarzes Haar. Dass die beiden verwandt sind, und sogar Zwillinge, kann man kaum glauben. Zu Lulus Leidwesen hat Dan alle Größengene geerbt. Mit seinen eins achtundachtzig überragt er sie (und mich). Ärgerlich behauptet sie immer, hätte er im Mutterleib nicht alle verfügbaren Zentimeter an sich gerafft und sich mit vernünftigen eins fünf- oder sechsundsiebzig begnügt, wäre sie nicht so winzig. Und während sie ständig ihre Frisur wechselt, hat er immer noch denselben zerzausten Lockenkopf wie in der Schule – das genaue Gegenteil irgendeines Stils. Seit Lulu das erste Mal eine Schere ergriff, juckt es sie in
den Fingern, ihm einen neuen Look zu verpassen. Aber er widersteht allen ihren Bemühungen. In unserer Teenagerzeit schämten wir uns ganz schrecklich, wenn wir in seiner unfrisierten Gesellschaft gesehen wurden. Aber jetzt bin ich bloß maßlos erleichtert, weil da jemand steht, den ich kenne. Und so strahle ich ihn an, als wäre er George Clooney.
Plötzlich erinnere ich mich an Lulus Warnung. »Ah, ich versteeeehe – Lulu hat überall ihre Spione postiert. Und deshalb bist du heute Abend
Weitere Kostenlose Bücher