Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
Was hat der kleine Meister Ali diesmal vergessen?«
»Eine Geige, Dave«, erkläre ich verkatert, müde und ungeduldig.
»Ooooh, hoffentlich bedroht er die anderen Kinder heute nicht mit der Geige anstatt wie sonst mit seinen Boxerfäusten.«
»Brillant, Dave, brillant«, fauche ich unfreundlich. »Sie sollten irgendwo auftreten. Aber wenn Sie das nicht tun – würden Sie bitte möglichst schnell einen Fahrradkurier hierherschicken?«
Gekränktes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Verdammt, warum bin ich so gemein?
»Tatsächlich werde ich sogar bald auftreten, Lizzy. Das haben Sie nicht erwartet, was? Nein, für Sie bin ich nur eine Witzfigur am Telefon, die in irgendeinem Loser-Job die Tage bis zur Rente zählt. Besten Dank.«
In der Tat, das war unerwartet.
»O Gott, Dave, tut mir leid«, murmle ich beschämt. »Heute Morgen bin ich ein bisschen verkatert. Aber das darf ich natürlich nicht an Ihnen auslassen. Spielen Sie wirklich Theater? Wow, das klingt großartig!« Wegen meiner
Gewissensbisse klingt meine Stimme viel enthusiastischer, als mir zumute ist.
Noch mehr Schweigen. Wahrscheinlich fühlt er sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Rache und dem, alles zu erzählen.
Das Showbusiness siegt.
»Wenn Sie wirklich so denken, Lizzy – warum kommen Sie nicht mal vorbei? Nächsten Mittwoch, Comedy-Abend im Queen’s Arms in Balham. Da trete ich zum ersten Mal auf. Um sieben.«
Ich hole tief Atem und formuliere in Gedanken eine höfliche Ablehnung. Aber in den Worten dieses Mannes, dem ich nie begegnet bin, schwingt Mitleid erregende Hoffnung mit. Mein Widerstand schmilzt. Und so höre ich mich sagen: »Ja, sehr gern, Dave. Danke für die Einladung und alles Gute. Dann sehen wir uns nächsten Mittwoch.«
Als ich auflege, fällt mir ein, dass Dave keine Ahnung hat, wie ich aussehe. Und keine Möglichkeit, mich zu erreichen, abgesehen von meiner Büronummer. Also könnte ich ihn mühelos beschwindeln (o ja, ich war da! Ganz hinten! Ich habe Ihnen gewunken. Haben Sie es nicht bemerkt? Ehrlich, Sie waren fabelhaft!). Wie soll er draufkommen, dass ich gar nicht da war?
Außerdem, an den Mittwochabenden treffe ich mich immer mit Lulu. Und sobald sie nüchtern geworden ist, wird sie diese idiotische Sache mit dem Kontrollverlust vergessen. Das weiß ich. Wie üblich werden wir einfach nur Rose trinken.
5
Letzte Woche dachte ich über Lulus Gezeter nach, und in meinen schwachen Momenten musste ich mir eingestehen, dass ihre Idee nicht völlig absurd ist. Während meine Freundinnen heirateten, Kinder oder brillante neue Jobs bekamen, bin ich immer noch da, wo ich schon vor zwei Jahren war, und ich bemühe mich nicht, irgendwas zu ändern. Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Leben gefällt mir. Aber wird es mir in zwei Jahren immer noch gefallen, so wie es jetzt ist?
Vielleicht sollte ich meinen Alltag ein bisschen aufpeppen. Zum Beispiel könnte ich mich bei einer Internet-Kontaktbörse anmelden oder Single-Partys besuchen. Wenn ich mir vorstelle, wie ich, ein Champagnerglas in der Hand, eine Schar attraktiver Männer mit einer geistreichen Anekdote amüsiere, sehe ich es so langsam ein. Ein paar Änderungen in meiner wohlgeordneten Routine wären vermutlich wirklich sinnvoll.
Eigentlich habe ich nicht erwartet, dass ich ganz allein in einer Warteschlange vor einem Vorstadt-Pub in der Nähe von einer der letzten Stationen der Northern Line stehen würde. Für ein Peckham-Mädchen wie mich gibt es in dieser
Gegend nichts zu befürchten. Aber allein schon die Situation erfüllt mich mit Grauen. Wieso habe ich mich bloß von Lulu dazu überreden lassen? Vor mir liegt ein Abend, an dem – ausgerechnet – das Comedy-Debüt eines Fahrradkuriers namens Dave stattfinden wird.
»Aber das ist wundervoll!«, jubelte Lulu, als wir wegen ihrer Beschreibung des Franzosen telefonierten (große Hände, große Nase, offenbar alles groß).
Dann beging ich den taktischen Fehler, Daves Comedy-Aufritt zu erwähnen.
»Kennst du ihn?«, fragte sie.
»Natürlich nicht, Lulu, er ist nur ein Fahrradkurier, den ich manchmal anrufe«, seufzte ich und wünschte, ich hätte das Thema nicht angeschnitten.
»Überleg doch mal, womöglich sitzt der Mann deiner Träume am anderen Ende dieser Telefonleitung. Da gehst du hin. Ich wollte dir ohnehin sagen, dass ich’s am Mittwoch nicht schaffe. Und das ist deine perfekte Chance, dem Alltagstrott zu entrinnen. Du schaust dir eine Comedy-Show an und wirst
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