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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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unternehmen.
    »Helft mir doch, ich habe einen Schlaganfall, ich sterbe!« röchelte der Mann und brach zusammen. Seine Stimme verstummte. Ein hohles Pfeifen drang aus seinem Mund. Jemand sprang auf und eilte auf eine der Ausgangstüren zu, aber die Wärter ließen ihn nicht durch.
    »Das gehört gewiß zum Spiel, wahrscheinlich simuliert er nur. Wir sollten uns nicht aufregen.« Das sagte jemand beschwichtigend zu seinem Nachbarn. Aber die Unsicherheit blieb. Man sah die Wärter aufgeregt miteinander tuscheln und hin- und herrennen. Ein Wärter verließ den Raum.
    Phil ging auf den Mann zu, beugte sich über ihn, nahm ihn in seine Arme. Der Mann sackte zusammen, leblos lag er da, der Mund stand offen.
    Phil ließ ihn auf den Boden gleiten, eilte in den Hintergrund und rollte das Krankenbett herbei. Dann wuchtete er den leblosen Körper auf das Bett.
    »Warum macht ihr nichts, ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann, ich bin kein Arzt.«
    Draußen, zum ersten Mal dachten die Menschen wieder an ein Draußen, gellte ein Martinshorn. Die Tür sprang auf und zwei Krankenpfleger eilten mit einer Tragbahre auf das Krankenbett zu. Sie legten den Körper auf die Bahre und trugen ihn aus dem Raum.
    Das Geräusch des Martinshorns wurde leiser.
    »Das ist sicher nicht der einzige, der heute auf der Welt gestorben ist«, sagte Palmer Eldrich. »The Show must go on, komm her, Phil, und stell dich der Verantwortung!«
    »Hau ab, Alter!« Zwei Junkies waren auf die Bühne gekommen. Sie schoben Palmer Eldrich zur Seite. »Du bist der Chef hier, wir wissen Bescheid, mach dir nichts draus. Jeden ereilt es. Hast du ein paar Mark?«
    Die Frage war mit einem drohenden Unterton gestellt worden. Palmer Eldrich zog seine Geldtasche aus der Jacke und wollte sie öffnen.
    Sie rissen sie ihm aus der Hand und schubsten ihn zwischen die Zuschauer.
    »Und paß auf, daß es dich nicht beim nächsten Mal erwischt. Du schluckst zuviel LSD. Du weißt doch: Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat.«
    Sie gingen auf Phil zu, der an seinem Schreibtisch saß und mit verbissenem Gesicht tippte.
    »Hör auf zu tippen, Mann! Wir haben gehört, daß du geile Bücher schreibst. Das muß doch Geld bringen. Was schreibst du denn so?«
    »Science Fiction-Romane«, sagte Phil.
    »Du nimmst speed, deine Stories sind eindeutig in der Drehung. Du hast gecheckt, was abläuft. Die Leute da sind doch alle verrückt. Die dröhnen sich mit Kultur an. Die dingsen uns doch einen vor. Wir brauchen Stoff, um hier rauszukommen, wir brauchen was, sonst werden wir nervös und unausstehlich. Du mußt uns helfen.«
    Phil wollte ihnen helfen, wußte aber nicht wie.
    »Ihr könnt hierbleiben«, sagte er, »ihr stört mich nicht, aber Geld habe ich nicht. Hier ist meine Scheckkarte. Ihr könnt ja versuchen, ob ihr an Geld rankommt. Aber es wird euch nichts nützen.«
    Ein junges Mädchen sah ihn an:
    »Ich mag dich, du gehörst zu uns. Du schreibst was aus dir raus, was du erlebt hast. Rauchst du dope?«
    Phil rauchte dope.
    »Aber ich bin auch ohne dieses Zeug ständig high. Ihr mögt es glauben oder nicht. Was hier passiert, ist härter als jede Droge.«
    »Aber nicht für uns«, sagte das Mädchen und setzte sich auf seinen Schoß.
    Palmer Eldrich hatte sich herangeschlichen.
    »Phil lebte längere Zeit mit den Junkies zusammen und teilte alles mit ihnen. Er wollte ihnen helfen und wurde von ihnen ausgenommen. Sein Elend wurde immer schlimmer. Irgendwann in Kanada, in Vancouver, wo er eine wahnsinnige Rede auf einem Kongreß gehalten hatte, nahm er die falschen Pillen und brach zusammen. Er wurde bewußtlos aufgefunden und in ein Therapiezentrum eingeliefert.
    Mit Hilfe einer aggressiven Therapie versuchte man, ihn von Drogen zu entwöhnen, die er nie genommen hatte. Er gab alles zu, man zerstörte seine Persönlichkeit, brach seinen Willen, er bekannte sich schuldig; als die Therapeuten sich an ihm schuldig gemacht hatten, machten sie weiter, bis sie die Bestätigung für ihren Psychoterror von ihm erhalten hatten – dann versuchten sie, ihn langsam wieder aufzubauen. Es gelang Philip, ihnen zu entkommen. Er begegnete Gott.«
    Es wurde dunkel, die Popgruppe hämmerte ihre Songs in die Halle, die Zuschauer standen zögernd auf, rauchten, gingen auf und ab, sahen sich gegenseitig an. An den Wänden wurden riesige Porträts von Phil sichtbar. Er sah aus wie ein verrückter Gott. Ein armes Schwein. Sein Leben war ihm immer mehr entglitten. Daß ein Mensch gestorben sein mochte, das

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