Willkommen in der Wirklichkeit

kümmerte anscheinend niemand mehr. Als das Bild des Mannes an den Wänden erschien, als aus den Lautsprechern sein Stöhnen und Röcheln, seine Hilferufe drangen, achtete kaum jemand darauf. Es war ja schließlich alles nur ein Spiel. Was soll’s? Nichts passiert mehr wirklich in der Welt.

 
III
     
    Palmer Eldrich trat vor:
    »Ja, er ist mir begegnet. Ich machte gerade einen Besuch bei einer koptischen Gemeinde, die anfangen wollte, sich Bilder von Gott, also von mir, zu machen. Wirrköpfe, Spinner, Sektierer, die glaubten, eine brünstige Jungfrau hätte sich einst an sich selbst entzündet und ein abartiges Monster gezeugt, in aller Heimlichkeit in einem Stall beim Vieh. Diesen Balg nannte sie Jaldabaoth, und sie versteckte ihn vor den anderen Göttern, vor der Weisheit und dem Wissen, die ihn vernichtet hätten, wenn sie seiner habhaft geworden wären. Jaldabaoth wuchs heran und erschuf diese Welt, meine Welt, in der er, in der ich mich als Palmer Eldrich bewege, ein Fabrikant von Lebenserhaltungsanlagen und Isolierstationen, Folterkammern, wie sie die Mächtigen immer wieder benötigen. Meine Welt ist eine durch und durch böse Welt, eine gemeine, erbarmungslose Welt, von Profit zerrissen und beherrscht. Kriege kennzeichnen die Dummheit, mit der sich die Gesellschaften immer wieder neu vernichten. Sie lernen nichts dazu. Nur in den Katastrophen und Weltuntergängen werden sie sensibler und rücken enger zusammen. Dann ist es zu spät. Die Wesen meiner Welt sind halbfertige Wesen, keines ist vollständig gelungen, es sind Artefakte zweiter Wahl – und das macht sie unberechenbar und gefährlich. Wenn sie mich treffen, klagen sie mir ihre Verstrickung in Schuld und Verbrechen. Sie sind mir gleichgültig geworden.
    Ich saß in der Hütte des koptischen Priesters, als Phil, der mich für eine seiner Romangestalten hielt, seine Stigmata sind in seinem Nervensystem verborgen, hereinstürmte. Er hielt sich für Gott und mich für Adolf Hitler. Phil beschimpfte mich. Ich würde Vasen und Teekannen so unvollkommen erschaffen, daß sie immer wieder kaputt gingen und er sie immer wieder reparieren und heilen müßte. Er würde nicht mehr mitkommen mit seinen Heilversuchen. Immer wenn er einen kaputten Topf mit Wirklichkeit angefüllt hätte, zerbräche er aufs neue. Es zerfällt alles, jammerte er.
    Demiurg, die Formen deiner schäbigen Ersatzwelt sind brüchig. Es bringt mich um, wenn die herrlichen Gefäße zerbrechen und ihren Inhalt ausschütten.«
    Phil näherte sich P(s)almer Eldrich:
    »Palmer Eldrich, warum quälst du mich, warum läßt du es zu, daß sie meine Stereoanlage zerschlagen, daß sie meine Bücher zerreißen? Warum änderst du nichts?«
    Er nahm einen platten, mit Fell beklebten Gegenstand in die Hand, der vage an die Umrisse einer Katze erinnerte und hob das Brett anklagend vor das Gesicht Palmer Eldrichs.
    »Weißt du, was das ist?« fragte er.
    Palmer Eldrich schwieg. Seine Augen, schwarze Knöpfe, unendlich tief und leer, glänzten wie schwarze, verstaubte Kohlen.
    »Das war, das ist meine Katze, den Namen habe ich vergessen. Sie lief aus dem Haus, ein Lastwagen raste heran, ein schweres Gefährt, in dem Öl transportiert wurde, dieser schwarze Saft vergorener Tierleiber, und er walzte sie platt. Warum mußte diese Formveränderung sein? Wie soll ich aus diesem Brett wieder eine lebendige Katze machen?«
    »Der Katze ist es gleich, welche Form sie hat, solange sie nicht leidet, und in dieser Form« – Palmer zeigte auf das Brett – »leidet sie nicht mehr. Die Materie wandelt sich unentwegt in meiner Welt, ein wenig Sinn, ein wenig Zusammenhang und Information geht verloren, aber mir ist das gleichgültig. Das Universum atmet, dehnt sich aus, und wenn ich niese, fliegen Myriaden von stellaren Nebelhaufen zur Hölle – ins Abseits, an den Arsch der Welt. Und du kommst hier mit deiner räudigen, vergammelten Katze angeschlichen. Lächerlich.«
    Er wandte sich ab.
    »Außerdem liegst du immer noch im Koma, was ohne meine Instrumente nicht möglich wäre. Letztes Jahr wirst du gestorben sein. Ob du oder ob deine Katze verreckt, das wiegt in meiner Welt keinen Vogelschiß.«
    Ein häßlicher Haufen Vogelscheiße, stark stilisiert, krachte vor ihm zu Boden.
    Die Zuschauer atmeten auf. Lachen war wieder angesagt, wo die Vernunft baden ging.
    Phil krümmte sich vor Lachen.
    Aus einer Ecke kam ein riesiger Pandabär, nahm Phil die Katze aus der Hand und schaufelte mit ihr die Vogelscheiße zur