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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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zwei Blocks südlich davon. Dessen war er ganz sicher. Er erinnerte sich deutlich daran, wie er jeden Morgen die Third hinuntergegangen war, wie er zu Bloomingdale’s hinübergesehen und dann die Abzweigung nach Osten genommen hatte, zur 60th …
    Zwei Hilgards? Mit demselben Gesicht?
    »Was suchst du?« fragte Celia, die aus dem Bad kam und sich abtrocknete.
    Hilgards Wangen röteten sich. Schuldbewußt schob er die Brieftasche wieder in ihre Handtasche. »Ich … äh … wollte nur nachsehen, wie viele Pesos du noch hast. Ich dachte, wir könnten vielleicht einige Travellerschecks einlösen, wenn die Banken morgen früh öffnen.«
    »Ich habe doch erst Freitag welche eingelöst. Erinnerst du dich denn nicht mehr?«
    »Muß mir entfallen sein.«
    »Möchtest du welche von meinen Pesos?«
    »Vorerst habe ich noch genug«, sagte er.
    Sie aßen zusammen im Hotel. Für Hilgard war es, als würde er einem Berg Dynamit gegenüber am Tisch sitzen. Er war noch nicht zu dem Eingeständnis bereit, daß er verrückt geworden war, aber es gab nur sehr wenig Sinnvolles, was er zu ihr sagen konnte, und irgendwann einmal würde sie ihn bestimmt darauf ansprechen. Er fühlte sich wie jemand, der in die Mitte eines Filmes hineinplatzt und nun herauszufinden versucht, was vor sich geht. In seinem Fall war das allerdings wesentlich schwieriger, denn er sah den Film nicht nur an, sondern er spielte darin mit. Und so sah er sich einer völlig Fremden am Tisch gegenüber, die er, wie es schien, schon vor Jahren geheiratet hatte. Aber für gewöhnlich haben sich Menschen, die schon jahrelang miteinander verheiratet sind, beim Essen wenig Neues zu erzählen. Er war dankbar für die langen Pausen des Schweigens. Wenn er sprach, dann tat er das vorsichtig und kurz. Einmal erlaubte er sich den Luxus, sie beim Vornamen zu nennen, nur um zu zeigen, daß er ihren Namen wußte, aber sein »Celia« rief lediglich ein flüchtiges Stirnrunzeln hervor, das ihn verblüffte. Hätte er statt dessen einen Kosenamen benutzen sollen? Oder gab es einen anderen Namen als Celia, den jeder benutzte – vielleicht Cee, Cele oder Charley? Er war vollkommen hilflos. Während er vor seinem Kaffee saß, dachte er wieder über den Augenblick der Benommenheit beim Tempel von Quetzalcoatl nach, als sich in seinem Kopf alles gedreht hatte. Gab es so etwas wie einen Schlaganfall oder Hitzschlag, der die Erinnerung angriff, ohne dabei den Körper in Mitleidenschaft zu ziehen? Nun, vielleicht. Aber er litt nicht einfach an Amnesie, denn er verfügte ja über minutiöse Erinnerungen an ein Leben ohne Celia, an das Leben eines Alleinstehenden, der Leiter einer florierenden Kunstgalerie war und ein erfülltes Leben voller Reisen, Liebe und Freunde führte. Er war vor drei Tagen in Mexico City angekommen und hatte sich auf eine Woche Sonnenschein und scharf gewürztes Essen gefreut, vielleicht auf eine Bereicherung seiner Sammlung. Wie konnte ein Schlag solche Erinnerungen in ihm hervorrufen? Und dann noch so detailreich: das Taxi, ein schwarzer Ford, Chucho, der liebenswürdige Fahrer, das Zimmer im siebten Stock des Hotels Presidente …
    »Ich habe oben etwas vergessen«, sagte er zu Celia. »Ich gehe es nur rasch holen, dann können wir gehen.«
    Er rief vom Zimmer aus im Presidente an. »Mr. Hilgard, bitte.«
    »Einen Augenblick.« Lange Pause. Dann: »Bitte wiederholen Sie den Namen.«
    »Hilgard, Theodore Hilgard. Ich glaube, er hat Zimmer 770.«
    Eine noch längere Pause.
    »Tut mir leid, Sir. Bei uns wohnt kein Gast dieses Namens.«
    »Ich verstehe«, sagte Hilgard, der überhaupt nichts verstand, und hängte ein. Er betrachtete sich im Spiegel und suchte nach den Spuren eines Schlages, hängende Lider, absackende Wangen. Nichts. Nichts. Aber sein Gesicht war grau. Er sah aus, als wäre er tausend Jahre alt.
     
    Vor dem Museum nahmen sie ein Taxi und fuhren zum Anthropologischen Museum. Er war schon mehrmals hier gewesen, das letzte Mal erst gestern nachmittag. Doch wie er Celias Worten entnehmen konnte, hatte sie es noch niemals zuvor gesehen, was ihn in erneute Verlegenheit brachte: Er mußte vorgeben, mit diesem doch so vertrauten Ort überhaupt nicht vertraut zu sein. Während sie durch die Säle wanderten, tat er sein Bestes, um Überraschungsreaktionen beim Anblick von Objekten zu heucheln, die er schon seit Jahren kannte, beispielsweise bei den großen Steinköpfen von Olmec, der erschreckenden Statue der Göttin Coatlicue und den Jademasken. Manchmal war es

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